Gefangener in Haft attackiert

Zeichnung einer Figur hinter Gefängnisgittern

Der Wasserbauingenieur Nguyen Ngoc Anh muss sechs Jahre Haft verbüßen, nur weil er friedlich Kritik an der Regierungspolitik geäußert hatte. Nun wurde er im Gefängnis von einem Mitgefangenen attackiert. Obwohl er schwere Verletzungen an Bein und Kopf erlitt, wird ihm die medizinische Versorgung verweigert. Stattdessen kam er lediglich in Einzelhaft. Diesem Angriff gingen Monate psychischer Misshandlung, wie tägliche Morddrohungen, durch mehrere Mitgefangene voraus.

Appell an

Leiter der Provinzpolizei in der Provinz Ben Tre

Vo Hung Minh

404D Đng Văn Cng, Phường 7

TP. Bến Tre, Bến Tre

VIETNAM

Sende eine Kopie an

Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam

S. E. Herrn Nguyen Minh Vu

Elsenstraße 3

12435 Berlin

Fax: 030-5363 0200

E-Mail: sqvnberlin@t-online.de

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Nguyen Ngoc Anh umgehend und bedingungslos frei.
  • Gewähren Sie Nguyen Ngoc Anh bitte umgehend regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung.
  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Nguyen Ngoc Anh nach den Richtlinien der UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) behandelt wird. Schützen sei ihn insbesondere vor Folter und anderen Misshandlungen, wie schlechten Haftbedingungen und verlängerte Einzelhaft.

Sachlage

Der gewaltlose politische Gefangene Nguyen Ngoc Anh wurde am 30. August 2018 festgenommen, nachdem er auf Facebook einen Gesetzentwurf kritisiert hatte, mit dessen Hilfe Sonderwirtschaftszonen im Land entstehen sollen. Zurzeit sitzt Nguyen Ngoc Anh im Gefängnis Ben Tre und berichtet von dort über regelmäßige psychische Misshandlung, wie tägliche Morddrohungen durch Mitgefangene. Bei ihrem letzten monatlichen Besuch erzählte Nguyen Ngoc Anh seiner Frau, dass sein Zellengenosse ihn so brutal angegriffen habe, dass er blutend und bewusstlos am Boden gelegen habe. Es ist beunruhigend, dass die Gefängnisbeamt_innen nicht disziplinarisch gegen den Angreifer vorgegangen sind und auch die formelle Beschwerde, die Nguyen Ngoc Anh nach dem Angriff eingereicht hat, noch nicht bestätigt haben. Stattdessen haben sie Nguyen Ngoc Anh in Einzelhaft verlegt und ihm jeden Zugang zu medizinischer Versorgung verweigert. 

Im Juni 2019 wurde Nguyen Ngoc Anh wegen angeblicher "Propaganda gegen den Staat" zu sechs Jahren Haft verurteilt, obwohl er lediglich friedlich seine Meinung geäußert hatte.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nguyen Ngoc Anh ist Wasserbauingenieur, 39 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und seinem vier Jahre alten Sohn in Ben Tre, eine Küstenprovinz im Süden von Vietnam.

Im September 2019 berichtete Nguyen Ngoc Anh seiner Frau Nguyen Thi Chau bei ihrem monatlichen Besuch, dass er ständig von seinem Zellengenossen zum Beispiel mit Morddrohungen gequält werde. Nguyen Ngoc Anh geht davon aus, dass dieser Gefangene jeden Freitag einen Gefängniswärter trifft, um ihm alles über ihn zu berichten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Gefängniswärter Gefangene dafür einsetzen, ihnen Bericht zu erstatten und die anderen Gefangenen einzuschüchtern und zu schikanieren.

Am 11. Oktober besuchte Nguyen Thi Chau ihren Mann erneut und war sehr alarmiert, als sie feststellte, dass ihr Mann ein Bein hinter sich herzog, ein Hämatom am Hals hatte und seinen linken Arm nicht normal bewegen konnte. Nguyen Ngoc Anh sagte ihr, dass er von seinem Zellengenossen attackiert worden sei. Mitte September, als er sich duschen wollte, trat der Mitgefangene ihn so heftig von hinten, dass er mit dem Kopf gegen die Wand schlug und ohnmächtig wurde. Der Mitgefangene verdrehte Nguyen Ngoc Anh dann die linke Hand und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Er hörte erst auf, als andere Gefangene dazwischen gingen.

Die Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen schreiben unmissverständlich vor, dass "die Sicherheit von Gefangenen, Angestellten, Dienstleistern und Besucher_innen zu jeder Zeit gewährleistet sein muss." 

Nguyen Ngoc Anh hatte sein Facebook Account dazu genutzt, seine Meinung über mehrere konfliktive Themen in Vietnam zu äußern, darunter auch über die 2016 vom Chemieunternehmen Formosa Plastics verursachte Umweltkatastrophe. 2018 beteiligte er sich aktiv an einer Online-Diskussion zu dem Gesetzentwurf, drei Sonderwirtschaftszonen im Land einzurichten. Daraufhin nahmen die lokalen Behörden der Provinz Ben Tre Nguyen Ngoc Anh am 30. August 2018 fest und klagten ihn nach Paragraf 117 des Strafgesetzbuchs wegen "Propaganda gegen den Staat" an. Bis Juni 2019 war er ohne Gerichtsverfahren inhaftiert. Am 6. Juni wurde er dann zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Derzeit gibt es in Vietnam mehr als 100 gewaltlose politische Gefangene, und viele von ihnen werden in der Haft gefoltert oder anderweitig misshandelt. Unter anderem sind sie Drangsalierung, Drohungen, Einschüchterungsversuchen und tätlichen Übergriffen ausgesetzt. Die Haftbedingungen sind in der Regel schlecht. Amnesty International erhält häufig Berichte von Familienangehörigen von gewaltlosen politischen Gefangenen, in denen beschrieben wird, dass die Inhaftierten schlecht ernährt werden, keine ausreichende medizinische Versorgung erhalten und im Winter nicht genug zum Anziehen haben.

Vietnam ist Vertragsstaat des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, welcher die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit garantiert. Vietnam hat auch das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe am 3. November 1986 ratifiziert. Die vietnamesische Regierung ist verpflichtet, die Rechte jeder Person in ihrer Gerichtsbarkeit zu achten und zu schützen und insbesondere die Sicherheit derjenigen zu gewährleisten, die sich in ihrem Gewahrsam befinden.