Indonesien: Menschenrechtler*innen droht Haftstrafe

Eine junge Frau steht vor einer bemalten Wand. Sie verschränkt ihre Arme und lächelt. Auf der Wand sind zwei Hände in Handschellen gemalt, sowie einige Schriftzüge, darunter auch der Name der Organisation KontraS.

Fatia Maulidiyanti, Koordinatorin der indonesischen Menschnrechtsorganisation KontraS

Den Menschenrechtsverteidiger*innen Fatia Maulidiyanti und Haris Azhar wurde am 17. März 2022 vorgeworfen gegen das Gesetz über Elektronische Informationen und Transaktionen (ITE) verstoßen zu haben. Grund dafür sind Anschuldigungen des amtierenden Ministers für Meeres- und Investitionsangelegenheiten. Er beschuldigt sie der "Verleumdung", weil sie in einem YouTube-Video über die mutmaßlichen Verbindungen zwischen Militäroperationen und Bergbauaktivitäten in der indonesischen Provinz Papua berichtet hatten.

Appell an

Leiter der Generalstaatsanwaltschaft

Reda Manthovani

Chief of DKI Jakarta Attorney General’s Office

Jl. H. R. Rasuna Said No.2, Jakarta Selatan


DKI Jakarta 12950

INDONESIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Indonesien

S. E. Herrn Arif Havas Oegroseno

Lehrter Straße 16-17

10557 Berlin

Fax: 030-4473 7142

E-Mail: info@kbri-berlin.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, die Ermittlungen gegen Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti unverzüglich einzustellen und die Anklage fallen zu lassen.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass alle Menschenrechtsverteidiger*innen ihre friedlichen Aktivitäten ungehindert und ohne Schikane, Einschüchterung, willkürliche Inhaftierung oder Angst vor anderen Vergeltungsmaßnahmen ausüben können, so wie es in der UN-Erklärung über Menschenrechtsverteidiger*innen verbrieft ist.
  • Ich fordere Sie außerdem auf, das Gesetz über Elektronische Informationen und Transaktionen (ITE) dahingehend zu ändern, dass Verleumdung entkriminalisiert und als zivilrechtliche Angelegenheit behandelt wird.

Sachlage

Den beiden Menschenrechtsverteidiger*innen Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti wird vorgeworfen, gegen das Gesetz über Elektronische Informationen und Transaktionen (ITE) verstoßen zu haben. Nachdem die Polizei der Generalstaatsanwaltschaft am 6. März 2023 die Ergebnisse ihrer Ermittlungen vorgelegt hatte, droht den beiden nun die strafrechtliche Verfolgung. Der Fall von Fatia Maulidiyanti und Haris Azhar ist Teil der andauernden Unterdrückung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Indonesien, deren Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt wird.

Die Vorwürfe gegen Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti beziehen sich auf ein Video auf Haris Azhars YouTube-Kanal, in dem er und Fatia Maulidiyanti den Bericht "A Political Economy Study of Military Placement in Papua: The Case of Intan Jaya" diskutieren. Im Bericht werden die mutmaßlichen Verbindungen zwischen Militäroperationen und Bergbauaktivitäten im Bezirk Intan Jaya in Papua dargelegt. Der Bericht war am 12. August 2021 von neun zivilgesellschaftlichen Organisationen veröffentlicht worden, darunter auch die Menschenrechtsorganisation KontraS unter der Leitung von Fatia Maulidiyanti. Am 29. August 2021 erklärte Haris Azhar, dass die in dem Gespräch genannten Daten aus dem gemeinsam von mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen erstellten Bericht stammen, der die mutmaßliche Verwicklung mehrerer Personen aus dem Militär in die Bergbauindustrie darlegt.

Die beiden Menschenrechtsverteidiger*innen wurden vom Minister für Meeres- und Investitionsangelegenheiten, Luhut Binsar Pandjaitan, bei der Polizei angezeigt. Darüber hinaus verklagte er sie auf je 100 Milliarden Rupiah (etwa 6 Millionen Euro). Der Minister war der Ansicht, dass das Video unwahre Aussagen, Rufmord und Fake News beinhaltet.

Am 21. Oktober 2021 wurden Haris Azhar, Fatia Maulidiyanti und Luhut Binsar Pandjaitan von der Polizei in Jakarta zu einem Vermittlungsgespräch vorgeladen. Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti waren an dem Datum anwesend, der Minister fehlte jedoch. Das Gespräch wurde daher auf unbestimmte Zeit verschoben. 

Am 17. März 2022 wurden Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti der Verleumdung gemäß Paragraf 27 des ITE-Gesetzes beschuldigt. Am 21. März 2022 wurden beide von der Polizei in Jakarta zu einem Verhör vorgeladen. 

Am Morgen des 6. März 2023 lud die Polizei Fatia Maulidiyanti und Haris Azhar erneut vor, um sie über die Fertigstellung ihrer Fallakte zu informieren und eine medizinische Untersuchung durchzuführen. Die Polizei übergab die Fallakte noch am selben Tag an das Bezirksgericht von Ost-Jakarta, deren Staatsanwaltschaft für den Verwaltungsbezirk zuständig ist und der Generalstaatsanwaltschaft von Jakarta untersteht.

Die Rechtsbeistände von Fatia Maulidiyanti und Haris Azhar gehen davon aus, dass der Prozess gegen sie bereits am 13. März 2023 hätte beginnen können.

Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti werden strafrechtlich verfolgt, nur weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben — ein Menschenrecht, das sowohl nach internationalem als auch nach indonesischem Recht garantiert ist. Im Falle einer Verurteilung drohen den Menschenrechtsverteidiger*innen dafür möglicherweise vier Jahre Gefängnis.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti sind indonesische Menschenrechtsverteidiger*innen. Fatia Maulidiyanti ist Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation KontraS. Die Organisation ist seit der Suharto-Ära in Indonesien dafür bekannt, Menschenrechtsverletzungen aufzudecken und sich für die Betroffenen (Verschwundene und Opfer von Gewalttaten) einzusetzen. Haris Azhar ist Dozent, Anwalt und Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Lokataru Foundation.

Am 20. August 2021 stellte Haris Azhar ein Video eines Gespräches zwischen ihm und Fatia Maulidiyanti auf seinen YouTube-Kanal. Darin sprechen sie über einen Bericht, in dem einige Unternehmen erwähnt werden, die mutmaßlich an der Erkundung der Goldmine Wabu Block in Intan Jaya, Papua, beteiligt sein sollen. Der Bericht war am 12. August 2021 von neun zivilgesellschaftlichen Organisationen veröffentlicht worden, darunter KontraS unter der Leitung von Fatia Maulidiyanti, und trägt den Titel: "A Political Economy Study of Military Placement in Papua: The Case of Intan Jaya". Darin wird ein Zusammenhang zwischen den von der indonesischen Regierung an einige Unternehmen vergebenen Konzessionen und dem irregulären Einsatz des Militärs in Papua hergestellt. Der ehemalige Militärgeneral und amtierende Minister für Meeres- und Investitionsfragen, Luhut Binsar Pandjaitan, ist mutmaßlich Minderheitsaktionär von einem der im Bericht genannten Unternehmen. 

Nach der Veröffentlichung des Videos veranlasste der Minister die Vorladung von Haris Azhar und Fatia Maulidiyanti am 26. August und 2. September 2021. Nach Angaben seines Sprechers sollten die beiden ihm das Motiv, die Absicht und den Zweck des Videos erklären.

Amnesty International Indonesien hat von Januar 2019 bis Dezember 2022 mindestens 1.021 Fälle von Strafverfolgungen, Festnahmen, Angriffen und Einschüchterungen von Menschenrechtsverteidiger*innen durch verschiedene Akteure registriert. Zwischen Januar 2019 und Mai 2022 wurden mindestens 332 Personen unter dem ITE-Gesetz angeklagt, die meisten von ihnen wegen Verleumdung.