Amnesty Russische Föderation 22. Mai 2023

Einsatz mit Erfolg: Wie die Aktivistin Yulia Tsvetkova der Willkür des russischen Staates entkam

Das Bild zeigt eine junge Frau mit kurzen Haaren und Sonnenbrille, vor einer Wand mit Grafitti

Die russische Frauenrechte- und LGBTI-Aktivistin Yulia Tsvetkova (undatiertes Foto)

Weltweit beteiligen sich Hunderttausende Menschen an Appellaktionen von Amnesty International. Mit Briefen, E-Mails und Petitionsunterschriften bewirken sie Freilassungen, verhindern Folter, schützen Menschen vor unfairen Prozessen und retten Leben. Dass dieses gemeinsame Engagement erfolgreich ist, zeigt der Fall der feministischen Künstlerin Yulia Tsvetkova aus Russland.

Im November 2019 wurde Yulia Tsvetkova zum ersten Mal festgenommen – der Aktivistin drohten sechs Jahre Haft. Der Vorwurf gegen sie: "Erstellung und Verbreitung von pornografischem Material". Grundlage für die strafrechtliche Verfolgung waren Zeichnungen nackter Frauenkörper, die Yulia auf der beliebten russischen Social-Media-Plattform VKontakte gepostet hatte. Die Bilder zeigten Frauen mit Falten, Dehnungsstreifen und Körperbehaarung. Jede Zeichnung war mit dem Satz "Lebende Frauen haben ..." überschrieben und endete mit den Worten "– und das ist gut so!".

Aber nicht nur ihre feministische Kunst, sondern auch ihr Einsatz für LGBTI-Familien und ihr Engagement in der Jugendtheatergruppe Merak brachten ihr den Vorwurf ein, sie verbreite "Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen zwischen Minderjährigen". Die Theatergruppe musste ihre Arbeit einstellen, Yulia Tsvetkovas Onlinegruppe "Vagina Monologe" wurde wiederholt gesperrt. Sie selbst wurde unter Hausarrest gestellt und vom russischen Justizministerium als "ausländische Agentin" eingestuft, was ihr ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen unmöglich machte. Als wären die Schikanen der Behörden nicht schon genug, wurden sowohl sie als auch ihre Mutter nach der Eröffnung des Strafverfahrens homofeindlich belästigt und bedroht.

Tweet von Amnesty-International:

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Amnesty hat Yulia Tsvetkovas seit Beginn ihres Strafprozesses 2019 begleitet und gefordert, die strafrechtliche Verfolgung einzustellen. Denn sie hat keine Straftat begangen, sondern lediglich ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahrgenommen und sich für die Rechte von Frauen und der LGBTI-Community eingesetzt. Im Juli 2022 wurde Yulia Tsvetkova erstmals freigesprochen, doch die Erleichterung hielt nicht lange an: Die Staatsanwaltschaft legte Rechtsmittel gegen das Urteil ein. Im November 2022 folgte dann der endgültige Erfolg: Der Freispruch wurde im Berufungsverfahren bestätigt.

"Die Entscheidung des Gerichts, den Freispruch von Yulia Tsvetkova zu bestätigen, ist ein seltenes Beispiel tatsächlicher Gerechtigkeit im heutigen Russland", sagte Natalia Zviagina, die für Russland zuständige Direktorin von Amnesty. "Die repressiven Strukturen, die unter Wladimir Putin in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgebaut wurden, zielen darauf ab, absurde Gerichtsverfahren basierend auf konstruierten Anklagen zu inszenieren. Und nur selten kommt es vor, dass jemand den Fängen dieses Systems entkommt."

+++ UPDATE +++

Nachdem das Berufungsgericht von Komsomolsk am Amur den Freispruch von Yulia Tsvetkova im November 2022 bestätigt hatte, hob ihn ein Kassationsgericht in Wladiwostok im März 2023 erneut auf. Es überwies den Fall zur Neuverhandlung zurück nach Komsomolsk am Amur. Während ihr Fall in die nächste Verhandlungsrunde geht, lebt die Künstlerin heute im Ausland.

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