Amnesty Journal Kolumbien 02. Juli 2021

Die Wächterin des Regenwaldes

Eine indigene Frau mit goldenen Ohrringen hält einen Stapel aus Holzscheiten zwischen den Händen.

Hält der Bedrohung durch Paramilitärs stand: Jani Silva.

Seit mehr als 40 Jahren engagiert sich Jani Silva für nachhaltige Landwirtschaft in der Amazonasregion Kolumbiens. Paramilitärs drohen der international bekannten Umweltschützerin mit dem Tod. Der Staat hat sie lange im Stich gelassen.

Von Knut Henkel

Der Blick über den Río Putumayo mit den Bergen am Horizont, über denen die Sonne aufgeht – das ist es, was Jani Silva jeden Morgen vermisst. Früher hat sie auf ihrem Hof den Sonnenaufgang verfolgt und dabei einen dampfenden Kaffee getrunken. Das ist schon seit Monaten vorbei. Silva musste ihr Dorf Bajo Cuembí im Süden Kolumbiens verlassen und lebt nun in Puerto Asís, der größten Stadt in der Region Putumayo.

"Ende Oktober war ich zum letzten Mal da, habe unsere 45 Rinder verkauft, die Gänse und die Hühner. Es ging nicht anders, die Morddrohungen wurden immer heftiger", sagt die 57-Jährige. Erst zirkulierten Pamphlete in dem kleinbäuerlichen Schutzgebiet "La Perla Amazónica". Unterzeichnet waren sie mit "Los Comandos de la Frontera" (Grenzkommandos). Dann tauchten schwerbewaffnete Mitglieder dieser paramilitärischen Organisation in den Dörfern auf. Sie verfolgen das Ziel, das Schutzgebiet aufzulösen, und suchten Jani Silva.

Kampf um Kokaproduktion

In der abgelegenen Amazonasregion wird traditionell Koka angebaut. Die Organisation will den Markt und den Schmuggel der getrockneten oder zu Kokainpaste verarbeiteten Blätter kontrollieren. So haben es Journalist_innen des kolumbianischen Online-Mediums "Las2Orillas" recherchiert. Sie weisen auch darauf hin, dass ­lokale Organisationen von Bäuerinnen und Bauern für den ­Ausstieg aus der Kokaproduktion plädieren.

Dazu zählt auch ADISPA (Asociación de Desarrollo Integral Sostenible de La Perla Amazónica), eine von Jani Silva mitgegründete Organisation, die für eine nachhaltige Entwicklung des Schutzgebiets eintritt. Sie will die Bäuer_innen in der Amazonasregion davon überzeugen, alternative Produkte anzubauen. Silva, die auch für die Umsetzung des Friedensabkommens von 2016 wirbt, ging mit gutem Beispiel voran, setzte auf Honig, Bananen und andere Produkte und warb in ihrem Dorf und in ihrer Organisation für den Ausstieg aus dem Kokaanbau.

Genau das ist einer der Gründe, warum Silva in den Fokus der Paramilitärs geraten ist. Ein weiterer ist, dass sich ADISPA für Umweltschutz in der Region engagiert. Mehrfach hat die ­Organisation in den vergangenen Jahren die chilenische ­Erdölfirma GeoPark (vormals Amerisur) angezeigt, weil in der Nähe von Bohrlöchern das Wasser des Amazonas kontaminiert war. "Mit den Anzeigen begannen die Drohungen", erinnert sich Silva. "Ein Sprecher der Paramilitärs, Leonel, behauptet, sie hätten einen Vertrag mit der Erdölfirma und würden dafür sorgen, dass Amerisur in Ruhe arbeiten könne."

Morddrohungen von Paramilitärs

Für Silva und ihre Organisation bedeutet das nichts Gutes. Zwar hat das Erdölunternehmen jeden Kontakt zu den "Grenzkommandos" bestritten und juristische Schritte gegen die kirchliche Menschenrechtsorganisation CIJP (Comisión Intereclesial de ­Justicia y Paz) angekündigt, die in einem Bericht schrieb, dass es genau diese Kontakte gibt. CIJP unterstützt die ADISPA seit Jahren. Aber trotz des Dementis stünden die Aussagen der Paramilitärs nun mal im Raum, sagt Danilo Rueda von der CIJP.

Jani Silva wurde in der Amazonasstadt Leticia geboren und kam als Zwölfjährige mit ihrer Mutter in die Region von Puerto Asís. Sie wuchs in einem Dorf auf und begann mit 16 Jahren, sich in kleinbäuerlichen Organisationen zu engagieren. "Am 18. Dezember 2000 hat das Nationale Institut für ländliche Entwicklung unserem Gebiet den Status einer bäuerlichen Schutzzone verliehen, und wir dachten, wir wären am Ziel unserer Träume", erinnert sich Jani Silva. Sie habe sich Schutz von der Regierung, Rechtssicherheit und internationale Anerkennung durch den Status versprochen. Doch was folgte, waren jahrelange Auseinandersetzungen mit bewaffneten Gruppen, die in Morddrohungen von Paramilitärs gipfelten.

Ich lebe wie eine Gefangene in Puerto Asís. Ich traue mich nicht, das Haus ohne Leibwächter und schusssichere Weste zu verlassen. Ich fühle mich entwurzelt.

Jani
Silva

Das Schutzgebiet "La Perla Amazónica" erstreckt sich über 22.000 Hektar, rund 800 kleinbäuerliche Familien leben und ­arbeiten dort. Um ihre Lebensgrundlagen zu verteidigen, gründeten Aktivist_innen im Jahr 2008 ADISPA. Seither hat die Organisation mit nationaler und internationaler Hilfe Strukturen aufgebaut, nachhaltige Anbaukonzepte erarbeitet und ihre Mitglieder geschult. Sie setzt sich für Umweltschutz, Wiederaufforstung und den Erhalt der Artenvielfalt ein. Silva und ihren Mitstreiter_innen ist es wichtig, der nachwachsenden Generation Perspektiven aufzuzeigen. "Wir haben Workshops zur bäuerlichen Identität organisiert und waren mit den Kindern und Jugendlichen auf den Höfen und in der Natur unterwegs", erzählt Silva, die selbst vier Kinder hat. Doch seit dem Auftauchen der "Grenzkommandos" sei die Arbeit schwieriger geworden.

Kaum Hilfe von der Justiz

In Kolumbien hat die Aktivistin den Ruf einer guten Lehrerin, die für Umweltschutz, die Verteidigung kleinbäuerlichen Landbesitzes und den Erhalt der Artenvielfalt in der Amazonasregion eintritt. Dies erkennen sogar ihre bewaffneten Gegner an. Die Paramilitärs bezeichnen die Aktivist_innen von ADISPA als "Schüler", wenn sie in den Dörfern auftauchen.

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hatte Kolumbien bereits im Dezember 2018 aufgefordert, Jani Silva, ihren Mann Hugo Miramar und andere ADISPA-Aktivist_innen zu schützen. Ungeachtet dessen und trotz zahlreicher Appelle von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International gab es aber über einen langen Zeitraum kaum Hilfe von der Justiz, dem in der Region stationierten Militär oder der Polizei, kritisiert Silva. Im Gegenteil: Die "Grenzkommandos" hätten sich damit gebrüstet, Unterstützer_innen in der Verwaltung und in der Armee zu haben. Erst im Mai 2021 erhielt zumindest Silva von den Behörden endlich den geforderten Individualschutz.

Die Bedrohung aber bleibt. "Ich lebe wie eine Gefangene in Puerto Asís. Ich traue mich nicht, das Haus ohne Leibwächter und schusssichere Weste zu verlassen. Ich fühle mich entwurzelt", klagt Silva. Zum ersten Mal weiß sie nicht weiter, bangt um die Arbeit von Jahrzehnten, die wegen der Corona-Pandemie ohnehin sehr viel schwieriger geworden sei. Es gehe die Angst um, sich zu engagieren, sagt sie niedergeschlagen. Silva hofft auf internationale Unterstützung – die könne vielleicht dafür sorgen, dass sie irgendwann zurückkönne – auf ihren Hof und zum Sonnenaufgang in Bajo Cuembí.

Knut Henkel arbeitet als freier Korrespondent in Lateinamerika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.

60 Jahre Amnesty International: Im Jubiläumsjahr richtet Amnesty International den Blick besonders auf Menschen in Gefahr und auf Menschenrechtsverteidiger_innen, die sich für andere einsetzen. Mehr dazu: amnesty.de/60jahre.

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