Amnesty Journal Deutschland 21. Mai 2014

Starkes Signal

Eine Kolumne von Patrick Kroker

Kürzlich hat erstmalig ein deutsches Gericht ein Urteil über den Völkermord in Ruanda gesprochen. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte Mitte Februar Onesphore R. wegen Beihilfe zum Völkermord zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren. Der 47-jährige Ruander soll als Bürgermeister ein Massaker beaufsichtigt und befehligt haben, bei dem mindestens 400, wahrscheinlich aber deutlich mehr Menschen ums Leben kamen.

Am Morgen des 11. April 1994 war ein wütender Mob nach tagelanger Belagerung auf das Kirchengelände im Ort Kiziguro gestürmt, auf dem Angehörige der Tutsi-Volksgruppe und ihre Unterstützer Zuflucht gefunden hatten. Was dann begann, beschrieb das Gericht als "tobendes Massaker und Blutbad". Erst als sich am frühen Abend die Truppen der Tutsi-Rebellen näherten, nahm das Schlachten ein Ende. Insgesamt wurden während des Genozids in dem zentralafrikanischen Land von April bis Juni 1994 zwischen 500.000 und einer Million Menschen getötet.

Der Weg zu diesem historischen Urteil war lang und beschwerlich. Das Gericht benötigte drei Jahre und 115 Verhandlungstage, um ein Urteil zu sprechen. Es hörte 120 Zeugen, die wenigsten aus Deutschland. Die wichtigsten Belastungszeugen wurden aus Ruanda eingeflogen. Dutzende Zeugen wurden per Videovernehmung aus Ruanda in den Frankfurter Gerichtssaal geschaltet. Das alles hat sehr viel Zeit und Geld gekostet. Und es ist nicht einmal sicher, ob das Urteil der Revision standhalten wird. War es das wert? Sollte sich die deutsche Justiz mit Verbrechen beschäftigen, die 6.000 Kilometer entfernt vor 20 Jahren begangen wurden?

Die Antwort ist: ja. Denn das Urteil sendet ein starkes Signal. Menschheitsverbrechen können, egal wann und wo sie begangen werden, auch in Deutschland verfolgt und angeklagt werden. Wer sich an diesen Verbrechen beteiligt, kann sich bei uns nicht sicher fühlen. Zwar hat das Verfahren gegen R. einen Bezug zu Deutschland, da er sich hier mit seiner Familie seit 2002 als Flüchtling aufhält und bereits in den achtziger Jahren in Trier studierte. Grundlage des Verfahrens aber ist das Weltrechtsprinzip. Danach können bestimmte Straftaten, etwa Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen weltweit verfolgt und angeklagt werden.

Das Weltrechtsprinzip kann helfen, bei schlimmsten Menschheitsverbrechen Straflosigkeit zu vermeiden und das Leid der Opfer gerichtlich anzuerkennen. Denn nach einer Periode massiver Gewalt sind die betroffenen Gesellschaften häufig nicht willens oder in der Lage, das geschehene Unrecht selbst aufzuarbeiten. Andere Aufgaben wie die Sicherung der Lebensgrundlage werden als dringlicher empfunden. Das Justizsystem ist wegen des vorangegangenen Konflikts nicht funktionsfähig oder nicht unabhängig. Selbst im politisch stabilen Westdeutschland dauerte es 13 Jahre, bis nennenswerte Versuche unternommen wurden, den Naziterror vor Gericht zu bringen. Internationale Gerichtshöfe können, sofern sie denn eingesetzt werden, nur einen kleinen Teil der Taten untersuchen. Die daraus folgende Straflosigkeit bedeutet nicht nur eine unglaubliche Belastung für die Opfer. Sie kann auch hinderlich für den Versöhnungsprozess sein und den Nährboden für weitere Konflikte bilden.

Die Möglichkeit globaler Strafverfolgung kann potenzielle Täter abschrecken, diese Taten zu begehen. Insofern ist das Frankfurter Urteil als Erfolg zu werten. Damit das Völkerstrafrecht seine Wirkung entfalten kann, muss es jedoch universelle Geltung erlangen und auch vor mächtigen Tätern nicht haltmachen. Das gebietet auch die Gleichheit vor dem Gesetz. Insofern wäre es wünschenswert, dass deutsche Strafverfolger bei Ermittlungen wegen schwerer Menschenrechtsverbrechen vor politisch unliebsamen Entscheidungen weniger zurückschrecken, als sie es bisweilen tun.

Patrick Kroker ist Amnesty-Experte für Völkerstrafrecht.

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