Amnesty Journal Honduras 26. November 2013

Ende des Goldrauschs

"Die Repression in Honduras hat ein neues Niveau erreicht. Die Menschen vor Ort befinden sich in ständiger Bedrohung."

"Die Repression in Honduras hat ein neues Niveau erreicht. Die Menschen vor Ort befinden sich in ständiger Bedrohung."

Goldschmuck gilt als zeitlos schönes Geschenk, Goldbarren sind als
krisenfeste ­Wertanlage beliebt. Die Nachfrage nach einem der seltensten
Metalle der Erde ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Multinationale
Unternehmen fördern es in den Ländern des Südens im Tagebau. In Honduras
haben diese Minen Krankheit und Umweltzerstörung gebracht. Ein neues
Gesetz öffnet Bergbaufirmen Tür und Tor. Dagegen wächst der Widerstand –
aber gleichzeitig wächst auch die Repression gegen soziale Bewegungen.

Von Kathrin Zeiske

Julio Aguirre begann mit 18 Jahren in der Goldmine San Martín zu arbeiten. Entre Mares, eine Tochterfirma des kanadischen Minenunternehmens Goldcorp, zahlte ihm dafür umgerechnet 400 Dollar pro Monat: ein extrem hoher Lohn für einen jungen Mann im ländlichen Honduras. Julio kletterte dafür in die "Goldkammer", den Blausäuretank der Auswaschungsanlage, und spülte sie mit Natronlauge aus. Als Schutzkleidung gegen giftige Rückstände und Dämpfe wurden ihm lediglich Gummistiefel, Handschuhe und Mundschutz gestellt.

In der Mittagspause legten er und seine Kollegen sich oft auf das Dach des Schuppens, in dem die Blausäurebriketts lagerten. Nachdem die Mine 2009 ihre Arbeit eingestellt hatte, erklärte ihm ein Freund, mit was für hochgiftigen Substanzen sie gearbeitet hatten: Zyanid, Arsen, Quecksilber und Blei. Inzwischen ist Julio Anfang zwanzig und leidet unter weit heftigeren Gelenkschmerzen als seine Großmutter.

Seine Krankheitsgeschichte ist eine von vielen, die an diesem Abend im Halbdunkel eines Gartens in der Kleinstadt San Ignacio erzählt werden. Den rund dreißig Anwesenden, die einst als Hilfsarbeiter in der Goldmine angestellt waren, fällt das Sitzen schwer. Sie berichten von Krebs, von entfernten Lungenflügeln, von Tumoren an der Wirbelsäule. "Alle, die dort gearbeitet haben, leiden heute unter schweren Gesundheitsproblemen", sagt Carlos Silva vom Kollektiv der ehemaligen Minenarbeiter.

Die einstigen Gewinner des Goldrauschs im Siriatal fühlen sich alleingelassen. Ohne Einkommen müssen sie für horrende Arztrechnungen aufkommen. Die Minengesellschaft ist hingegen reich geworden. Mit den Gewinnen aus dem Siriatal kaufte Goldcorp weitere Minen in Mittelamerika und wurde zum zweitgrößten Goldproduzenten Kanadas und einem weltweit führenden Unternehmen. Laut "World Gold Council", einer Lobby-Organisation der Goldindustrie, werden etwa 43 Prozent des weltweit geförderten Golds zur Herstellung von Ringen, Ketten, Armreifen, Uhren und anderem Schmuck verwendet. Zehn Prozent werden zur Herstellung von Smartphones, Notebooks und anderen Elektrogeräten eingesetzt, während der Rest als Privatanlage und Währungsgegenwert in Banken eingelagert wird. Deutschland ist nach China, Indien und den USA der viertgrößte Goldaufkäufer der Welt.

Im Siriatal besitzt kaum jemand Schmuckstücke. Von San Ignacio führen Staubpisten durch ausgetrocknete Flussbetten zum ehemaligen Minengelände von San Martín. Die Mine entzog der einstigen Kornkammer von Honduras in nur neun Jahren ihre Wasservorkommen. Ganze Bergkuppen wurden abgetragen, um im Tagebau Gold zu gewinnen. Die Gemeinde Palo Ralo wurde damals an einen neuen Ort zwangsumgesiedelt. "Doch auch in Nuevo Palo Ralo fanden wir keinen Frieden", sagt Rodolfo Arteaga, Gründer des lokalen Umweltkomitees. Der braungebrannte Mann mit den feinen Gesichtszügen legt sich die Hand über die Augen und schaut zum ehemaligen Minengelände hinüber. "Die täglichen Detonationen waren nervenaufreibend und beschädigten unsere Häuser."

Nicht nur das. Giftige Rückstände aus der Mine sickerten still und leise über Jahre in den Dorfbrunnen. "Wir bekamen Magenprobleme. Unseren Kindern fielen die Haare aus." Viele Frauen litten unter Fehlgeburten; Kinder kamen mit hohen Arsen- und Bleiwerten im Blut zur Welt und wiesen genetische Veränderungen auf. Wie der kleine Antony Misael Nuñez. Die Füße des Babys stecken in Schuhen, die von einer Metallstrebe auseinandergehalten werden. Er wird vermutlich nie laufen können. Seiner rechten Hand fehlt ein Finger, die anderen sind nur kleine Knoten. Im Siriatal ist die Kindersterblichkeit zwölf mal so hoch wie im Rest von Honduras, stellte die Untersuchung eines italienischen Experten 2006 fest.

Ein kürzlich erschienener Bericht des Honduranischen Instituts für Umweltrecht (IDAMHO) und der NGO Oxfam listet außer den entstandenen Umwelt- und Gesundheitsschäden weitere Folgen des Goldabbaus auf. Die Gemeinde ist gespalten, Aktivisten werden bedroht und das ehemalige Minengelände ist nach wie vor verunreinigt: Rund 55 Millionen Tonnen toxischer Erde wurden lediglich mit einer dünnen Gummimembran bedeckt und dürftig mit Gras bepflanzt.

Das Bergbauunternehmen scheint diesen Anschuldigungen zu spotten: Mit der "Stiftung San Martín" wurde vor vier Jahren ausgerechnet ein "Ökotourismuszentrum" auf der ehemaligen Mine eingerichtet. Nur einen Steinwurf von den zyanidverseuchten Gifthalden entfernt erstreckt sich nun eine Poollandschaft, umgeben von Liegestühlen und Hollywoodschaukeln. Ein Rehgehege und ein Forellenteich sollen den Besuchern zeigen, dass hier alles in bester Ordnung ist. Auf einer Aussichts­plattform sind Fotos der vormaligen Detonationen mit einem "Bummmm!" in Comicschrift versehen. Bergbau als Ereignis.

"Die Vergangenheit des Gold- und Silberabbaus, der Honduras schon zu Kolonialzeiten prägte, holt uns wieder ein", sagt Jesuitenpater Ismael "Melo" Moreno. Der Direktor des kritischen "Radio Progreso" und des Forschungs- und Kommunikationsinstituts ERIC beobachtet die Entwicklung des mittelamerikanischen Landes schon seit langem. Anfang 2013 beschloss der honduranische Kongress ein neues Bergbaugesetz. Parallel dazu wurde in einem zweiten Anlauf die Verfassung geändert, um die Einrichtung autonomer Sonderwirtschaftszonen, unter anderem für Bergbau, zu ermöglichen.

Seither haben Minenunternehmen von der Regierung 280 Konzessionen erhalten und mit der Ausbeutung einer Fläche begonnen, die etwa 15 Prozent des gesamten honduranischen Territoriums ausmacht. Pater Melo hält nichts von dem neuen Gesetz. "Es öffnet der verheerenden Praxis des Tagebaus erneut Tür und Tor. Nur scheinbar gibt es Mitbestimmungsmöglichkeiten für die betroffenen Gemeinden. Gleichzeitig sollen die Steuergelder der Minenunternehmen direkt an staatliche Sicherheitsorgane wie die neu installierte Militärpolizei fließen – das verheißt nichts Gutes."

Die Basis und die Spitze der katholischen Kirche seien wegen des neuen Gesetzes einmal mehr gespalten, sagt der Pater. "Kardinal Óscar Rodríguez, das Oberhaupt der honduranischen Kirche, zeigte sich schon nach dem zivil-militärischen Putsch 2009 eng mit der politischen Elite verbunden. Nun steht er hinter den Interessen der honduranischen Unternehmer, die das Feld für die internationalen Bergbaukonzerne ebnen." Dagegen unterstützen viele Gemeindepriester in den vom Bergbau betroffenen Regionen im Norden und Westen des Landes die lokale Bevölkerung in ihrem Protest gegen Minen und Wasserkraftwerke, die diese mit Strom und Wasser versorgen sollen.

Die Kleinstadt La Esperanza in den pinienbewaldeten Bergen des Westens ist ein solcher Hort des Widerstandes. Schon seit Jahrzehnten protestieren die indigenen Lenca gegen die Ausbeutung von Ressourcen auf ihrem Territorium. Allen voran die Organisation COPINH (Consejo Cívico de Organizaciones Populares e Indígenas de Honduras), die auch ein Lokalradio betreibt. "Wir fordern Information und Konsultation über Megaprojekte, die uns betreffen. Wir fordern, dass unsere entschiedene Ablehnung des Bergbaus auf dem Gebiet unserer Vorfahren anerkannt wird", spricht Tomás Gómez in einer mit Eierkartons verkleideten Radiokabine in das Mikrofon.

Der Widerstand gegen das Wasserkraftwerk Agua Zarca, an dem auch die deutsche Siemenstochter Voith Hydro GmbH beteiligt ist, forderte im Juli 2013 einen Toten. Armeeangehörige schossen ohne Vorwarnung auf eine friedliche Demonstration, töteten den Indigenensprecher Tomás García und fügten seinem 17-jährigen Sohn Allan García schwere Verletzungen zu. Während ein verantwortlicher Armeeangehöriger gegen Kaution freigelassen wurde, wurden die COPINH-Aktivisten Tomás Gómez und Aureliano Molina aus einem politischen Schauprozess wegen "Vereinnahmung, Nötigung und anhaltender Schädigung" unter Auflagen und mit dem Verbot entlassen, sich der Zone großräumig zu nähern. Bertha Cáceres, eine energische Frau mit schwarzen Locken, die der Lenca-Bewegung vorsteht, musste untertauchen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Amnesty International spricht von "unbegründeten Anklagen" und startete eine Eilaktion für Cáceres, die für ihre unermüdliche Menschenrechtsarbeit 2012 den Eichstätter Shalom-Preis erhielt.

"Die honduranische Justiz reagiert prompt, wenn es darum geht, Proteste zu kriminalisieren", sagt Daniel Langmeier von der Organisation PROAH (Proyecto de Acompañamiento en Honduras). Ansonsten herrsche absolute Straflosigkeit vor – ­dabei weist das Land die höchste Mordrate weltweit auf. Der Schweizer Menschenrechtsbeobachter steht kurz vor der Ab­reise nach Washington, um der Interamerikanischen Menschenrechtskommission drei exemplarische Fälle von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Protesten gegen die neuen Megaprojekte in Honduras vorzutragen. Im Juli war er selbst von bewaffneten Söldnern entführt worden, als er versuchte, den von einer Minengesellschaft bedrohten Gemeindemitgliedern durch seine Anwesenheit Schutz zu bieten. Diese leisteten in Nueva Esperanza, einem Ort inmitten des Dschungels an der Karibikküste, friedlich Widerstand gegen eine geplante Mine. Daniel Langmeier und seine französische Kollegin Orlane Vidal kamen nach mehreren Stunden wieder frei und mussten sich aus der Region zurückziehen. "Die Repression in Honduras hat ein neues Niveau erreicht", sagt Langmeier. "Während wir uns aber zurückziehen können, befinden sich die Menschen vor Ort in einer Situation ständiger Bedrohung." Zahlreiche Personen mussten die Gemeinde verlassen, durch die immer wieder Söldner patrouillieren. Die Minengesellschaft rückte währenddessen mit schweren Gerätschaften auf Privatland vor.

Die Autorin arbeitet als Mittelamerika-Korrespondentin.

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