Amnesty Journal Peru 30. November 2009

Blei im Blut

Ein Junge vor der Metallschmelze von Doe Run in La Oroya

Ein Junge vor der Metallschmelze von Doe Run in La Oroya

La Oroya heißt die schmutzigste Stadt Lateinamerikas. Rund 3.500 Arbeiter schuften in der Metallschmelze in den peruanischen Anden, die seit Jahren Unmengen von Schwefeldioxid, Blei und Arsen in den Himmel bläst. Doch derzeit ruht der Betrieb, weil die Gesellschaft Insolvenz ­angemeldet hat. Für die Arbeiter eine Katastrophe. Experten sehen darin jedoch nur eine Strategie, um ­Umweltauflagen abzuschwächen. Ein Poker auf dem ­Rücken der Bevölkerung, die seit Jahren unter der ­extremen Belastung leidet.

Wie weiß gepudert wirken die Berghänge rund um die peruanische Andenstadt La Oroya. Kaum ein Strauch krallt sich in den unwirtlichen Untergrund, den der saure Regen blankgewaschen hat. "Hier wächst kaum mehr etwas. Eine Folge der jahrzehntelangen Luftverschmutzung, die auch noch etliche Kilometer entfernt zu spüren ist", berichtet der quirlige 55-jährige Entwicklungsexperte Vicente Nalvarte Surabía und deutet durch das ­Autofenster auf den von Schotter gesäumten schmutzigbraunen Fluss, den Mantaro.

Dann taucht der mächtige Schornstein, das Wahrzeichen von La Oroya, zwischen den steilen Felshängen auf. Der 169 Meter hohe Schlot dominiert die in einem Tal liegende Bergbaustadt. La Oroya rühmt sich, das metallverarbeitende Zentrum Perus und zugleich Lateinamerikas zu sein. Gold, Silber, Kupfer, Blei und eine ganze Reihe anderer Metalle werden seit 1922 in der auf 3.750 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Schmelze aus den Gesteinskonzentraten gewonnen. Per Bahn werden die Rohstoffe herangekarrt. Über das Gleis gelangen die fertigen Barren ins 180 Kilometer entfernte Lima, wo sie im Hafen von Callao verschifft werden.

"Normalerweise steht eine Rauchsäule über dem mächtigen Schlot, denn es wird rund um die Uhr produziert. Alle Minen der Region liefern ihre Konzentrate an Doe Run", erklärt Nalavarte und steigt vor dem Gemeindehaus der katholischen Kirche aus dem Taxi. Doe Run heißt das US-Unternehmen, das 1997 die Hütte vom peruanischen Staat übernahm. Der Konzern mit dem Stammsitz St. Louis ist der größte Bleiproduzent der westlichen Welt.

Auch in La Oroya wird Blei en Gros produziert. Beachtliche Mengen des Schwermetalls gelangen mit Schwefeldioxid, Arsen und anderen Schadstoffen durch den Schornstein in die Atmosphäre. "Mit verheerenden Folgen, denn kaum ein Mensch in La Oroya hat einen normalen Bleiwert im Blut", beschreibt Nalavarte die Folgen. Drei bis viermal pro Woche kommt er nach La Oroya, um das Ernährungs- und Gesundheitsprogramm der Kirche zu koordinieren. Dessen Ziel ist es, zumindest den Kindern zu helfen, denn Blei wirkt sich überaus negativ auf ihre Entwicklung aus.

"Konzentrationsschwierigkeiten in der Schule, Atemwegs- und Hauterkrankungen sowie Kopfschmerzen sind die direkten Folgen der hohen Bleibelastung", sagt Dr. Hugo Villa. Fast 30 Jahre lang hat er am Krankenhaus von La Oroya gearbeitet und das von Kirchenorganisationen aus Deutschland finanzierte Gesundheitsprogramm mitentwickelt. Das versorgt derzeit rund 1.200 Kinder sowie einige wenige Pensionäre und schwangere Frauen mit nahrhaftem Brei. Der enthält neben Milch, Mehl und Rosinen einen Vitamin- und Mineraliencocktail. "So versuchen wir, das Immunsystem zu stärken und die Aufnahme von Schwermetallen in den Organismus zu reduzieren", erklärt der Arzt.

Mit gutem Erfolg, denn die Bleiwerte im Blut der Kinder, die am Programm teilnehmen, sinken langsam. Von durchschnittlich 40 Mikrogramm pro Deziliter Blut auf derzeit etwa 30 Mikrogramm. Das sei zwar immer noch das dreifache des Grenzwerts von zehn Milligramm, den die Weltgesundheitsorganisa­tion WHO empfiehlt, aber immerhin ein Fortschritt gegenüber den ersten konkreten Zahlen aus 2005, berichtet die Krankenschwester, die das Gesundheitsprogramm leitet.

Das Programm wird genauso wie die regelmäßigen Blutuntersuchungen im Auftrag des Erzbistums von Huancayo durchgeführt. Der dortige Bischof, Monseñor Pedro Barreto, sorgte ­dafür, dass 2005 ein Medizinerteam der US-Universität von San Luis/Missouri nach La Oroya kam und erstmals detaillierte Blutuntersuchungen vornahm. "Die Ergebnisse bewiesen schwarz auf weiß, dass die Menschen in La Oroya latent vergiftet werden", sagt der Bischof. So lagen die Bleikonzentrationen im Blut der Menschen aus der Altstadt von La Oroya bis zu siebenmal höher als der WHO-Grenzwert.

Direkt gegenüber dem mächtigen Schornstein und den zentralen Installationen der Hütte liegt die Altstadt, wo die Lebensbedingungen der Menschen jeder Beschreibung spotten. "Viele Haushalte haben keinen Trinkwasseranschluss, viele Menschen leben in einfachen Baracken und sind den Emissionen schutzlos ausgeliefert", klagt Miguel Curi.

Der 44-jährige Familienvater gehört seit rund fünf Jahren der Gesundheitsbewegung von La Oroya an und ist nach den ersten Bluttests an seinen drei Kindern auf das Gesundheitsrisiko aufmerksam geworden. Von seiner Wohnung in der Altstadt von La Oroya hat man einen prächtigen Blick über die Blech- und Ziegeldächer und die dahinter liegenden zentralen Anlagen Doe Runs, die von dem riesigen Schlot überragt werden.

"Eigentlich müsste man die ganze Stadt verlagern, denn Erzverarbeitung und städtisches Leben passen nicht in die gleiche Nachbarschaft – selbst bei Einhaltung modernster Umweltstandards", kritisiert Curi und legt die Stirn in Falten. Er klagt vor dem Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte ­gemeinsam mit 64 weiteren Bewohnern der Altstadt gegen den peruanischen Staat, weil der ihre Menschenrechte nicht schütze. Curi hält wenig von der Bergbaupolitik der Regierung in Lima. "Die kommt den Unternehmen entgegen und drückt gern mal ein Auge zu."

In La Oroya eher beide, weshalb die Stadt 2006 vom Black­smith Institute, einer US-Umweltorganisation, zur am stärksten verschmutzten Stadt Lateinamerikas gekürt wurde. Seitdem ist La Oroya national und international ein Synonym für die latente Vergiftung der Bevölkerung durch ein skrupelloses Unternehmen. "Trotzdem hat sich nichts geändert", meint Viviana Berocal und rührt mit einer großen Schöpfkelle in einem Topf, der auf dem Herd in einer der kommunalen Küchen der Kirche steht.

Täglich bereitet die zweifache Mutter Breis für die Kinder zu, um sie widerstandsfähiger gegen die latente Vergiftung zu machen. Sie ist entnervt von der Untätigkeit Doe Runs und frustriert von der Perspektivlosigkeit in La Oroya. So geht es vielen Bewohnern der Altstadt, klagt Curi. Die Technik in La Oroya sei alles andere als vorbildlich. Doe Run Perú hat sich zwar verpflichtet, drei moderne Entschwefelungsanlagen im Werk zu ­installieren, um die Schadstoffemissionen zu reduzieren, doch keine der beiden bereits installierten Anlagen läuft zuverlässig, und die dritte ist noch nicht einmal installiert.

Das Unternehmen, das während des Bergbaubooms in den vergangenen Jahren beachtliche Gewinne einfuhr, hatte bis Ende Oktober Zeit, die drei Entschwefelungsanlagen zu instal­lieren. Doch bereits Ende Dezember 2008 wurden die Arbeiten gestoppt – kein Geld hieß es.

Im Februar wurde die Produktion erstmals gedrosselt, und im August meldete Doe Run Perú dann Insolvenz an. Vordergründig, weil die Weltmarktpreise für Blei, Kupfer und Zinn stark gefallen sind. "Doch wo sind die Gewinne der vergangenen Jahre geblieben", fragt Entwicklungsexperte Nalvarte und deutet mit dem Daumen viel sagend in Richtung USA. Transferiert, soll das wohl heißen. Das ärgert Kritiker in La Oroya genauso wie Umweltexperten in Lima, denn bereits 2006 wurde Doe Run Perú ein dreijähriger Aufschub gewährt, um Umweltauflagen zu erfüllen.

Ende September, die frustrierten Arbeiter hatten mehrere Tage die wichtige Passstraße blockiert, die von Lima über La Oroya in die Agrarregion von Huancayo führt, knickte die Regierung in Lima ein. "Der Kongress verabschiedete ein Gesetz, das Doe Run Perú einen weiteren Aufschub dreißig Monate gewährt", so Luz Gladys Huamán von der peruanischen Umweltorganisation "Labor". Für die Umweltaktivistin ein Kniefall vor dem Unternehmen.

Wie es weitergeht weiß niemand in Peru. "Das Unternehmen steht bei Lieferanten mit über hundert Millionen US-Dollar in der Kreide. Der Mutterkonzern weigert sich jedoch, frisches Geld nachzuschießen", erklärt Michael Pollmann, Umweltexperte des Deutschen Entwicklungsdienstes in Lima. "Ich habe meine Zweifel, ob Doe Run wirklich gewillt ist, die Hütte wieder anzufahren." Das wäre der Supergau, denn dann bliebe die Regierung in Lima auf einer hochgif­tigen Müllkippe sitzen, und obendrein wären 3.500 Jobs weg. Den Bleikindern von La Oroya blieben so immerhin 30 weitere Monate der latenten Vergiftung erspart.

Von Knut Henkel.
Der Autor ist Journalist und Lateinamerika-Korrespondent.

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