Amnesty Journal 02. April 2009

Leere Mägen und falsche Versprechen

Auf Madagaskar ist der Machtkampf zwischen Regierung und Opposition eskaliert. Ein südkoreanischer Konzern ist in den Konflikt involviert.

Die Geschichte scheint sich auf Madagaskar zu wiederholen. Vor sieben Jahren mobilisierte der heutige Präsident Marc Ravalomanana die verarmte Bevölkerung, um seinen Vorgänger aus dem Amt zu jagen. Heute setzt der jugendlich wirkende Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, Andry Rajoelina, die gleichen Mittel ein, um den amtierenden Präsidenten zu vertreiben. Die schwache Demokratie in dem Land droht an den blutigen Auseinandersetzungen zu zerbrechen.

Die Bevölkerung ist frustriert über leere Wahlversprechen, und die extreme Armut bietet genügend Anlass für einen Konflikt, der lange Zeit von der internationalen Öffentlichkeit ignoriert wurde. Dabei gab es zahlreiche Hinweise, in welch labilem Zustand sich das Land befindet: Die extrem ungleiche Verteilung von Land und Besitz, der autoritäre Führungsstil der Präsidenten, die fehlende Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen sowie ein gescheiterter Militärputsch vor drei Jahren.
Doch in den aktuellen Auseinandersetzungen unterstützt die westliche Staatengemeinschaft den autoritären Präsidenten, der den Zugang zu den wichtigen Rohstoffen der Insel garantiert. Er verfügt über ein Industrieimperium, das Zeitungen und Supermärkte umfasst, und beherrscht den größten Nahrungsmittelkonzern des Landes. In den vergangenen Jahren kompensierten die gestiegenen Lebensmittelpreise das Wirtschaftswachstum von fünf Prozent. Mittlerweile leben 70 Prozent der madegassischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

Seit seinem Amtsantritt 2002 nutzt Ravalomanana die Regierungsmacht, um seine ökonomische Stellung auszubauen. Gleichzeitig dominieren einige wenige Familien die Wirtschaft und das öffentliche Leben in Madagaskar, zu denen auch die politische Elite gehört. So verbreitet Präsident Ravalomanana seine Propaganda ebenso wie Herausforderer Rajoelina über einen eigenen Radio- und Fernsehsender.
Brisant ist die Frage, in welchem Maße internationale Konzerne zu dem Konflikt beitragen. Der südkoreanische Konzern Daewoo Logistics sicherte sich kürzlich für 99 Jahre die Hälfte des fruchtbaren Ackerlands von Madagaskar. Auf einer Million Hektar will der koreanische Konzern Futtermais für Schweine und Ölpalmen für die Biodieselproduktion anbauen. Die gesamten Ernteerträge aus diesen Monokulturen sollen nach Südkorea geliefert werden. Im Gegenzug soll Daewoo den Bau von Straßen, Schulen und Häfen versprochen haben.

Dieses Abkommen verschärft den Konflikt in einem Land, in dem es an Lebensmitteln mangelt und in das die UNO Hilfsgüter liefern muss. Auch die Eigentumsrechte der Bauern, die von der Subsistenzwirtschaft leben, sind ungeklärt. Sie müssen wegen Daewoo ihr Land verlassen und in den Monokulturen arbeiten. Doch in Madagaskar werden Regenwälder abgeholzt, um Ackerland zu gewinnen, was zu dramatischer Bodenerosion, sinkendem Grundwasserspiegel und damit auch zu neuen gesellschaftlichen Spannungen führt. Man könne Computer-Chips und Autos nicht essen, sagte Daewoo-Manager Richard Shin, um die Bedeutung dieses Abkommens für Südkorea zu verdeutlichen.

Als sich der Präsident Anfang des Jahres einen neuen Jet für 60 Millionen Dollar anschaffte, eskalierte die schon angespannte Stimmung auf der Insel. In mehreren Städten und im südlichen Hochland kam es Anfang Februar zu schweren Unruhen, wobei auch Übergriffe gegen die chinesische Minderheit gemeldet wurden. Die Regierung verhängte eine nächtliche Ausgangssperre und ließ Rajoelina seines Bürgermeisteramts entheben, nachdem sich dieser zum politischen und militärischen Oberbefehlshaber ernannt hatte. Rajoelina wirft der Regierung wiederum Korruption, Bereicherung und die Missachtung der Pressefreiheit vor.

Schlichtungsversuche der UNO und der Afrikanischen Union kamen zu spät, die Europäische Union reagierte sehr widersprüchlich. Sie setzte zwar die Budgethilfe für Madagaskar aus, betonte aber gleichzeitig, dass diese Maßnahme nichts mit dem aktuellen Konflikt zu tun habe. Die Regierung in Paris unterstützt als ehemalige Kolonialmacht wie bereits 2002 den amtierenden Präsidenten, da Ravalomananas wirtschaftsliberaler Kurs den französischen Firmen gute Profite sichert.

Nachdem Oppositionelle Mitte Februar vier Ministerien in der Hauptstadt besetzten, verschärfte sich der Konflikt. Die Regierung rief die Armee dazu auf, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Bei den anschließenden Unruhen erschossen Soldaten in Antananarivo und anderen Orten auf der Insel 130 Demonstranten und verletzten mehrere Hundert. Doch kurze Zeit später wechselte das Militär die Seiten. Mitte März stürmte die Armee den Regierungspalast und bestimmte anschließend Oppositionsführer Rajoelina bis zu Neuwahlen zum Übergangspräsidenten. In seiner ersten Ansprache versprach dieser "wirkliche Demokratie" und eine Strafverfolgung des alten Präsidenten.

Die fehlende Aufarbeitung früherer Menschenrechtsverletzungen signalisiert den Tätern jedoch bislang, dass ihre Verbrechen auch künftig straffrei bleiben. Die Überwachung und Dokumentation der Menschenrechtslage in Madagaskar könnte dabei helfen, die politischen und wirtschaftlichen Konflikte einzudämmen und Wege aufzuzeigen, die zu einem Ende der Gewalt führen können. Sollte dies nicht gelingen, werden sich die Konflikte auf Madagaskar wiederholen.

Von Ali Al-Nasani
Der Autor ist Lobby-Referent der deutschen Sektion von Amnesty ­International.

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