Amnesty Report Kasachstan 01. Juni 2016

Kasachstan 2016

 

Straflosigkeit für Folter und andere Misshandlungen blieb weitestgehend bestehen. Es gab nach wie vor keine unabhängige und vollständige Untersuchung der Foltervorwürfe, die nach der Niederschlagung der Proteste in Schanaosen im Jahr 2011 erhoben wurden. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren nach wie vor eingeschränkt.

Hintergrund

Anfang 2015 traten ein neues Strafgesetzbuch, eine neue Strafprozessordnung und ein Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in Kraft. Im April 2015 fanden Präsidentschaftswahlen statt, die unerwartet vorgezogen worden waren. Präsident Nursultan Nasarbajew wurde mit 97,7% der abgegebenen Stimmen für eine weitere Amtszeit wiedergewählt. Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erklärten, es habe bei den Wahlen keine "glaubwürdige Opposition" gegeben.

Fallende Erdölpreise führten 2015 zu einem wirtschaftlichen Abschwung. Im August wurde die nationale Währung abgewertet.

Folter und andere Misshandlungen

Das neue Strafgesetzbuch und die neue Strafprozessordnung enthielten Verbesserungen. Künftig sollen u. a. Foltervorwürfe automatisch erfasst und als Straftaten untersucht werden. Die Untersuchung erfolgt durch eine separate Instanz und nicht durch die Abteilung, gegen die sich die Foltervorwürfe richten. Damit werden die bisher üblichen internen Prüfverfahren umgangen, die zur Abweisung der meisten Anzeigen geführt hatten. Die Verjährungsfrist für Folter wurde aufgehoben, und Personen, die wegen Folter angeklagt oder verurteilt wurden, sind von potenziellen Amnestien ausgeschlossen. Die Höchststrafe für Folter wurde auf zwölf Jahre Haft erhöht. Rechtsanwälte berichteten jedoch, dass Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen zwar als Straftaten registriert, doch weiterhin nicht angemessen untersucht würden. Im Mai 2015 wurde Iskander Tugelbaev im Gefängnis geschlagen. Nach Angaben seines Anwalts lag er drei Tage im Koma und konnte danach weder sprechen noch ohne fremde Hilfe gehen. Ende 2015 war immer noch nicht klar, ob dieser Fall strafrechtlich verfolgt werden würde.

Von Januar bis Ende November 2015 wurden 119 Anzeigen wegen Folter erstattet und 465 Verfahren eingestellt. Elf Folterfälle kamen vor Gericht. Fünf Männer wurden für schuldig befunden, von denen nur einer eine Gefängnisstrafe erhielt. Die Zahlen spiegeln das wahre Ausmaß des Problems jedoch nicht wider, da viele Folteropfer sich nicht trauen, Anzeige zu erstatten.

Nichtstaatliche Beobachtungskommissionen und der Nationale Präventionsmechanismus (NPM) zum Schutz vor Folter hatten zwar das Recht, Gefängnisse und einen Großteil der Hafteinrichtungen zu besuchen, verfügten jedoch nicht über ausreichende finanzielle Mittel und personelle Kapazitäten. Außerdem sahen sie sich mit bürokratischen Hindernissen konfrontiert. Der NPM benötigte für unangekündigte Besuche eine Genehmigung der Ombudsperson.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Arbeit der Medien war 2015 weiterhin starken Einschränkungen unterworfen. Medienunternehmen wurden zwangsweise geschlossen oder mussten ihre Tätigkeit einstellen, weil sie nach Ansicht der Behörden gegen Vorschriften verstoßen hatten oder eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellten. Journalisten wurden nach wie vor drangsaliert und eingeschüchtert. Unabhängige Medienunternehmen hatten Schwierigkeiten, mit Anzeigen Geld zu verdienen, weil Kunden staatliche Repressalien befürchteten, wenn sie Anzeigen in diesen Publikationen aufgaben.

Im Februar 2015 wurde ein Einspruch gegen die Schließung der Zeitschrift ADAM Bol abgewiesen. Sie war im Dezember 2014 aus Gründen der "nationalen Sicherheit" geschlossen worden, nachdem sie ein Interview mit einem in der Ukraine lebenden Oppositionellen veröffentlicht hatte. Einige Monate später versuchte die Stadtverwaltung von Almaty, die Nachfolgepublikation Adam aus formalen Gründen zu schließen: Im September 2015 verhängten die Behörden ein dreimonatiges Verbot mit der Begründung, Adam sei als Zeitschrift registriert worden, die sowohl in russischer als auch in kasachischer Sprache erscheine, tatsächlich publiziere sie aber nur auf Russisch. Im Oktober 2015 ordnete ein Gericht auf Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft die Schließung der Zeitschrift an, da Adam über Facebook weiterhin widerrechtlich Informationen verbreitet habe.

Seit einer Reform des Kommunikationsgesetzes im Jahr 2014 konnte die Generalstaatsanwaltschaft Internetanbieter dazu zwingen, Webseiten zu sperren, die als "extremistisch" und als Bedrohung der Sicherheit angesehen wurden, ohne dass dafür eine gerichtliche Anordnung notwendig war. Diese Befugnis wurde genutzt, um den Zugang zu kasachischen Online-Nachrichtenportalen und zu einzelnen Beiträgen auf internationalen Nachrichten-Webseiten vorübergehend oder dauerhaft zu blockieren.

Im Strafgesetzbuch wurden die strafrechtlichen Sanktionen für "Diffamierung" und für die vage formulierten Straftatbestände "Anstiftung zu sozialer und anderweitiger Zwietracht" beibehalten. Mindestens vier Personen sahen sich mit strafrechtlichen Verfahren konfrontiert, weil sie Beiträge in den sozialen Medien veröffentlicht hatten, die als "Anstiftung zu nationaler Zwietracht" eingestuft wurden.

Ein Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern vor Informationen, die ihre Gesundheit und Entwicklung beeinträchtigen könnten, sah Verwaltungsstrafen für das "Propagieren nichttraditioneller sexueller Orientierungen" gegenüber Kindern vor. Der Verfassungsrat wies den Entwurf im Mai 2015 aus technischen Gründen zurück. Es war jedoch zu erwarten, dass er in einer veränderten Fassung erneut ins Parlament eingebracht werden würde.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und des Verwaltungsrechts definierten die Leitung und Mitarbeit in einer nicht zugelassenen Organisation als Straftat. "Führende Mitglieder" von Organisationen wurden als eigene Täterkategorie betrachtet, für die verschärfte Strafen galten. Aufgrund der vagen Definition konnten im Zweifelsfall alle aktiven Mitglieder einer NGO oder einer Bürgervereinigung als "führende Mitglieder" eingestuft werden. In der Praxis wurde vielen NGOs wegen geringfügiger Verstöße die offizielle Zulassung verweigert.

Im Oktober 2015 verabschiedete das Parlament gesetzliche Bestimmungen zur Tätigkeit von NGOs, die vor allem deren Finanzierung betreffen. Die Neuregelung, die im Dezember 2015 in Kraft trat, sieht die Einrichtung einer Zentralstelle vor, die staatliche und nichtstaatliche Fördergelder aus dem In- und Ausland verwaltet und an die NGOs verteilt. Betroffen sind Organisationen, die zu Themenbereichen arbeiten, die in einer vage formulierten und von der Regierung gebilligten Liste verzeichnet sind. NGOs, die der Zentralstelle keine genauen Informationen für deren Datenbank liefern, müssen mit Geldbußen oder einer zeitweisen Suspendierung rechnen. Zivilgesellschaftliche Aktivisten äußerten die Befürchtung, dass NGOs aufgrund der Neuregelung weniger Fördergelder aus dem Ausland erhalten könnten und ihre Aktivitäten reduzieren müssen.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Das Recht auf Versammlungsfreiheit war 2015 weiterhin stark eingeschränkt. Für jede Art von öffentlicher Kundgebung musste vorher bei lokalen Behörden eine Genehmigung eingeholt werden. Versammlungen wurden häufig nicht genehmigt oder durften nur an abgelegenen Orten stattfinden. Für Verstöße gegen die entsprechenden Vorschriften wurden Strafen von bis zu 75 Tagen Verwaltungshaft eingeführt. Die "Werbung" für eine Protestaktion, auch über soziale Medien, wurde faktisch zur Straftat erklärt.

Die Behörden nahmen Personen "vorbeugend" fest, um friedliche Proteste zu verhindern. Im Januar 2015 wurden Journalisten festgenommen, die sich auf dem Weg zu einer Protestveranstaltung in Almaty befanden, um die Zeitschrift ADAM Bol zu unterstützen. Sie wurden auf örtliche Polizeiwachen gebracht, um sie "mit dem Gesetz vertraut zu machen", und kurze Zeit später wieder freigelassen.

Der UN-Sonderberichterstatter für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, der Kasachstan im Januar und August 2015 besuchte, forderte die Behörden auf, eine internationale Untersuchung der Ereignisse in Schanaosen im Jahr 2011 zu erlauben, bei denen Sicherheitskräfte tödliche Gewalt gegen Protestierende eingesetzt hatten und Personen, die nach den Protesten inhaftiert worden waren, gefoltert und misshandelt worden sein sollen. Er äußerte außerdem die Befürchtung, dass der Straftatbestand "Anstiftung zu Zwietracht" im Strafgesetzbuch dazu benutzt werden könnte, die Aktivitäten von Parteien und Gewerkschaften zu kriminalisieren.

Weitere Artikel