Amnesty Report Kirgisistan 06. Mai 2015

Kirgisistan 2015

 

Die Behörden ergriffen 2014 keine wirksamen Maßnahmen, um Folter- und Misshandlungsvorwürfe zu untersuchen und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Zu den während der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Juni 2010 und danach verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderen Menschenrechtsverletzungen wurden keine unparteiischen und effektiven Ermittlungen eingeleitet. Parlamentarier brachten Vorschläge für Gesetze ein, die sich im Fall ihrer Verabschiedung negativ auf die Zivilgesellschaft auswirken würden. Der gewaltlose politische Gefangene Azimjan Askarov blieb in Haft.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen waren 2014 weiterhin verbreitet – trotz eines staatlichen Programms zur unabhängigen Überprüfung von Hafteinrichtungen und der Einrichtung eines Nationalen Zentrums zur Verhütung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.

Am 20. Dezember 2013 veröffentlichte der UN-Ausschuss gegen Folter seine abschließenden Bemerkungen zum zweiten periodischen Bericht Kirgisistans. Der Ausschuss äußerte seine tiefe Besorgnis "über die anhaltende und weitverbreitete Folter und Misshandlung festgehaltener Personen, insbesondere im Polizeigewahrsam, um Geständnisse zu erzwingen". Am 23. April 2014 prüfte der UN-Menschenrechtsausschuss den zweiten periodischen Bericht Kirgisistans.

Beide Ausschüsse machten darauf aufmerksam, dass die Behörden es versäumt hätten, Folter- und Misshandlungsvorwürfen unverzüglich, unparteiisch und umfassend auf den Grund zu gehen und die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Sie äußerten sich besorgt darüber, dass zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Juni 2010 keine umfassenden und effektiven Ermittlungen eingeleitet wurden.

Beide Gremien drängten Kirgisistan, auf diese Bedenken zu reagieren und unverzüglich effektive Maßnahmen zu ergreifen, um Folter und andere Misshandlungen zu verhindern, gegen Straflosigkeit vorzugehen, Straftäter zur Rechenschaft zu ziehen und sämtliche Folter- und Misshandlungsvorwürfe zu untersuchen, einschließlich derer, die im Zusammenhang mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen im Juni 2010 erhoben wurden.

Am 16. Juni 2014 nahm die in Dschalalabat ansässige Menschenrechtsorganisation Spravedlivost (Gerechtigkeit) bei einem Kontrollbesuch im Untersuchungsgefängnis von Dschalalabat zwei Fälle von Folter auf. Ein Arzt, der die Spravedlivost-Mitarbeiter bei dem Kontrollbesuch begleitete, dokumentierte die Anzeichen für Folter. Ein Inhaftierter gab an, Polizisten hätten ihn mit Händen, Fäusten und einem Buch geschlagen und ihm eine Plastiktüte über den Kopf gezogen.

Dann habe man ihn bis zum nächsten Tag mit Handschellen an einen Heizkörper gefesselt. Infolge der Misshandlungen habe er eine Gehirnerschütterung erlitten. Ein zweiter Inhaftierter berichtete über Schläge auf den Kehlkopf und Tritte in den Bauch.

Außerdem hätten ihn die Polizisten mit einem Buch auf den Kopf geschlagen. Spravedlivost wandte sich mit den Beschwerden an die Staatsanwaltschaft von Dschalalabat. Sie nahm eine erste Prüfung vor und ordnete zwei rechtsmedizinische Untersuchungen an, lehnte es dann jedoch ab, strafrechtliche Ermittlungen bezüglich der Vorwürfe einzuleiten.

2014 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte drei Urteile gegen Russland, in denen er feststellte, dass asylsuchende ethnische Usbeken, die von Russland nach Kirgisistan ausgeliefert würden, dort Gefahr liefen, Opfer von Folter und anderen Misshandlungen zu werden.

Straflosigkeit

Strafrechtliche Ermittlungen wegen Foltervorwürfen waren selten. In der ersten Jahreshälfte 2014 gingen bei der Generalstaatsanwaltschaft 109 Beschwerden ein, nur in neun Fällen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, davon gelangten lediglich drei zur Verhandlung. Ende des Jahres waren die Verfahren noch nicht abgeschlossen.

Medienberichten zufolge fällte das Swerdlowsker Bezirksgericht von Bischkek am 26. November 2013 das erste Urteil wegen Folter nach Artikel 305-1 des Strafgesetzbuchs. Der Polizeibeamte Adilet Motuev wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Nach Ansicht des Gerichts hatte er einen Mann ohne gesetzliche Grundlage auf eine Polizeiwache gebracht, nachdem er ihn beschuldigt hatte, ein Mobiltelefon gestohlen zu haben.

Dort bedrohte er den Mann und zwang ihn, den Diebstahl zu gestehen, indem er ihm Handschellen extrem eng anlegte, ihm eine Plastiktüte über den Kopf stülpte und ihm die Luft abschnürte. 2014 sprach das Gericht der zweiten Instanz Adilet Motuev jedoch von allen Foltervorwürfen frei und verhängte eine Strafe von zwei Jahren Haft, weil er unbefugt Ermittlungen ausgeführt habe.

Die staatlichen Stellen unternahmen 2014 keine Schritte, um die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Juni 2010 in den Städten Osch und Dschalalabat sowie deren Folgen fair und wirksam zu untersuchen. Rechtsanwälte, die im Zusammenhang mit den Ereignissen inhaftierte ethnische Usbeken verteidigten, wurden weiterhin aufgrund ihrer Arbeit persönlich attackiert, eingeschüchtert und sogar im Gerichtssaal körperlich angegriffen, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen worden wären.

Gewaltlose politische Gefangene

Am 3. September 2014 wies der Oberste Gerichtshof erneut Rechtsmittel ab, die der Rechtsanwalt von Azimjan Askarov eingelegt hatte, um den Fall erneut prüfen zu lassen. Bereits zuvor hatte das Stadtgericht von Bischkek ein Urteil des Bezirksgerichts von Bischkek aufgehoben, das entschieden hatte, das Verfahren müsse wiederaufgenommen werden, da die Verteidigung neue Beweise vorgelegt habe.

Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit

Politisch engagierte Bürger, die sich mit Menschenrechtsfragen beschäftigten, berichteten, dass die Behörden Druck auf sie ausübten und sie sich zunehmend unsicher fühlten.

Im Mai 2014 schlug das Justizministerium eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen zu NGOs vor. Danach wäre es nicht mehr möglich, ohne staatliche Genehmigung eine Organisation zu gründen. Falls die Reform verabschiedet würde, wären die Aktivitäten aller nicht zugelassenen NGOs strafbar.

Einige Parlamentsabgeordnete forderten ein ähnliches Gesetz wie in Russland. Dort sind NGOs, die "politischen" Aktivitäten nachgehen und Geld aus dem Ausland erhalten, verpflichtet, sich als "ausländische Agenten" registrieren zu lassen. Im November 2014 empfahl der Parlamentsausschuss für Menschenrechte, Staatsrecht und Staatsaufbau, die Reformvorschläge zurückzuziehen.

Diskriminierung

Der UN-Menschenrechtsausschuss äußerte sich besorgt darüber, dass kein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz existierte, das Diskriminierung aufgrund von Rasse, Sprache, Behinderung und ethnischer Abstammung verbietet.

Am 15. Oktober 2014 befasste sich das Parlament in erster Lesung mit einem Gesetzentwurf, der "Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen" verbieten will und damit Gruppen, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen, noch angreifbarer macht. Die gesetzliche Neuregelung würde jede Handlung unter Strafe stellen, die darauf abzielt, eine positive Einstellung gegenüber "nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen" zu schaffen, und die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit einschränken.

Ethnische Usbeken im Süden Kirgisistans wurden aufgrund ihrer ethnischen Herkunft weiterhin Opfer gewaltsamer Angriffe. Die Behörden stuften die Übergriffe jedoch als "Rowdytum" ein und untersuchten sie nicht umfassend und unparteiisch als mutmaßliche Hassverbrechen.

Am 4. August 2014 wurde der ethnische Usbeke Kabulzhan Osmonov an seinem Arbeitsplatz in Osch von einer Gruppe Männer ohne konkreten Anlass überfallen und bewusstlos geschlagen, so dass er notärztliche Hilfe benötigte. Die Männer, die von Augenzeugen als ethnische Kirgisen beschrieben wurden, hatten ihn als Sart bezeichnet, eine abwertende Bezeichnung für Usbeke.

Kabulzhan Osmonov zeigte den Übergriff bei der örtlichen Polizei an, doch erst als Medien über den Fall berichteten, wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Daraufhin drängten örtliche Staatsanwälte und Polizisten Kabulzhan Osmonov, seine Anzeige zurückzuziehen.

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