Amnesty Report 27. Mai 2013

Madagaskar 2013

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Madagaskar Staatsoberhaupt: Andry Nirina Rajoelina Regierungschef: Jean Omer Beriziky

Gravierende Menschenrechtsverletzungen, darunter Hunderte rechtswidrige Tötungen sowie willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen durch die Sicherheitskräfte, waren an der Tagesordnung. Dabei gingen die Täter auch 2012 fast immer straffrei aus. Führende Politiker, Journalisten, Priester und Rechtsanwälte sowie andere, die den Behörden kritisch gegenüberstanden, waren Einschüchterungsversuchen ausgesetzt und wurden in einigen Fällen in unfairen Gerichtsverfahren zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Hintergrund

Die politische und soziale Lage in Madagaskar blieb angespannt. Vor allem im Süden, aber auch in anderen Landesteilen war die Sicherheitslage äußerst kritisch. Wichtige Regelungen aus dem "Fahrplan zur Beendigung der politischen Krise" wurden nicht umgesetzt. Der Plan war auf Vermittlung der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika zustande gekommen und im September 2011 von der Mehrheit der politischen Akteure in Madagaskar unterzeichnet worden. Zu den nicht umgesetzten Vorhaben gehörten u.a. die Beendigung politisch motivierter Rechtsverfahren, der Schutz und die Förderung der Menschenrechte, die Achtung der Grundfreiheiten sowie die Rückkehr derer, die aus politischen Gründen im Exil lebten. Vertreter der internationalen Gemeinschaft und der Regierung bestätigten, dass im Mai 2013 ein neuer Präsident gewählt werden soll. Mitte April 2012 wurde von beiden Kammern des Parlaments ein Amnestiegesetz verabschiedet, das den Zeitraum von Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2009 umfasst.

Im September unterzeichnete Madagaskar das 2. Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dessen Ziel die Abschaffung der Todesstrafe ist, sowie das Zusatzprotokoll zum UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes.

Nachdem Amnesty International am 20. November in einer Pressemitteilung über die gravierenden Menschenrechtsverletzungen berichtet hatte, die von den Sicherheitsorganen im Süden des Landes begangen worden waren, und eine unabhängige Untersuchung der Übergriffe gefordert hatte, beschloss der Ministerpräsident, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die unter Federführung der UN arbeiten soll. Ende 2012 wurden die Vorbereitungen für die Arbeit der Kommission aufgenommen.

Rechtswidrige Tötungen

Vor allem in der Region Anosy gab es zahlreiche durch Sicherheitskräfte verübte Tötungen von Zivilpersonen wegen Viehdiebstahls; Hunderte Menschen waren ethnischer Gewalt und Massenmorden schutzlos ausgeliefert. Im September begann die Militäroperation "Tandroka". Zeugen berichteten Amnesty International, dass Sicherheitskräfte im Rahmen der Operation wahllos Dörfer in Brand gesetzt hätten und dass diejenigen, die nicht flüchten konnten, bei lebendigem Leib in ihren Häusern verbrannt seien.

  • Sicherheitskräfte sollen im September 2012 im Bezirk Elonty mindestens elf Menschen, unter ihnen ein sechs Jahre altes Mädchen, getötet und 95 Häuser niedergebrannt haben. Bei den Angriffen wurde die Ernte zerstört und mindestens eine Schule dem Erdboden gleichgemacht. In offiziellen Stellungnahmen hieß es, dass die Sicherheitskräfte nur Cannabisplantagen zerstört hätten.

  • Bei einem weiteren Vorfall, der sich ebenfalls im September in der Ortschaft Numbi ereignete, wurden mutmaßliche Rinderdiebe, sogenannte Dahalo, von den Sicherheitskräften außergerichtlich hingerichtet. Einer der Hingerichteten war körperbehindert. Im Oktober wurden die Eltern und die Frau eines prominenten Verdächtigen im Bezirk Mahaly außergerichtlich hingerichtet.

  • Im Verlauf des Jahres wurden in der Umgebung von Fort-Dauphin, einer Stadt im Süden von Madagaskar, mindestens 250 Menschen bei Vorfällen getötet, die von den Behörden als Zusammenstöße zwischen Rinderdieben und Einwohnern bezeichnet wurden. Amnesty International befürchtet, dass die tatsächliche Zahl der Opfer noch viel höher sein dürfte. Nach Zeugenberichten hatten in einem Fall Einwohner die Behörden über einen unmittelbar bevorstehenden Überfall auf ein Dorf informiert. Diese hätten jedoch nichts unternommen, um das anschließende Massaker, bei dem mindestens 86 Menschen mit Macheten getötet wurden, zu verhindern.

Straflosigkeit

Angehörige der Sicherheitskräfte und bewaffneter Gruppen, die für gravierende Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrige Tötungen verantwortlich waren, mussten nach wie vor keine strafrechtlichen Konsequenzen befürchten.

  • Die Untersuchung des Todes von Staatsanwalt Michel Rahavana war ein Jahr nach Beginn noch nicht abgeschlossen. Michel Rahavana war im Dezember 2011 von mehreren Polizisten in Toliara getötet worden, als diese versuchten, einen Kollegen aus dem Gefängnis zu befreien. Der Staatsanwalt hatte ihn im Zusammenhang mit einem Diebstahl inhaftieren lassen. Der für die Polizei zuständige Minister für Innere Sicherheit, der sich zum Zeitpunkt der Ermordung von Michel Rahavana in der Stadt aufgehalten hatte, soll von der bevorstehenden Tat Kenntnis erhalten, diese aber nicht verhindert haben. Ende 2011 hatte der Justizminister eine Untersuchung des Vorfalls angekündigt.

  • Im Fall des getöteten Taxifahrers Hajaharimananirainy Zenon "Bota" wurde entgegen der Zusage des Justizministers keine offizielle Untersuchung des Todes eingeleitet. Er war am 17. Juli von Angehörigen der Eingreiftruppe der Polizei (Forces d’Intervention de Police) im Bezirk 67 ha von Antananarivo festgenommen und zu Tode gefoltert worden. Die Familie von Hajaharimananirainy Zenon hatte am 30. August 2011 Klage eingereicht.

Recht auf freie Meinungsäußerung – Journalisten

Mehrere Sender, darunter Radio Fahazavana, blieben geschlossen. Im Februar wurden mindestens fünf weitere Radiosender geschlossen. Nach wie vor griffen Behörden auf die Justiz zurück, um Journalisten einzuschüchtern und zu schikanieren.

  • Am 13. November 2012 verurteilte ein Gericht in Antananarivo die Journalistin Lalatiana Rakotondrazafy und ihren Kollegen Fidèle Razara Pierre zu jeweils drei Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe von 1 Mio. Ariary (etwa 500 US-Dollar). Die beiden für Radio Free FM tätigen Journalisten waren am 3. Mai nach 24 Stunden aus der Haft entlassen worden. Im Juni wurden sie von den Behörden daran gehindert, Madagaskar zu verlassen. Das Urteil gegen sie erging, weil sie von Ravatomanga Mamy, Geschäftsmann und offizieller Berater des Präsidenten, wegen Verleumdung und der Verbreitung von Falschinformationen verklagt worden waren. Da sie um ihre Sicherheit fürchteten, hielten sich die beiden Journalisten und ein Techniker des Radiosenders seit dem 1. August mehr als zwei Monate lang auf dem Gelände der südafrikanischen Botschaft in Antananarivo auf.

  • Am 8. und am 9. November 2012 wurden vier Zeitungsjournalisten auf die Wache der Gendarmerie von Betongolo, Bezirk Antananarivo, vorgeladen. Es handelte sich um Zo Rakotoseheno, Herausgeber von Midi Madagasikara, Rocco Rasoanaivo, Herausgeber von La Nation und Vorsitzender der madagassischen Journalistengewerkschaft, sowie um Fidy Robson und Herivonjy Rajaonah, Herausgeber bzw. Chefredakteur der Zeitung Gazetiko. Ravatomanga Mamy hatte die Journalisten verklagt, weil sie Auszüge aus der Erklärung eines Kommunalpolitikers veröffentlicht hatten, in der dieser den Geschäftsmann und Präsidentenberater beschuldigte, in den Schmuggel von Rosenholz verwickelt zu sein. Die Journalisten mussten am 12. November beim Staatsanwalt erscheinen. Sie wurden zwar nicht verhaftet, aber die Ermittlungen gegen sie dauerten Ende 2012 noch an.

Amnesty International: Mission und Bericht

Ein Delegierter von Amnesty International hielt sich im
November in Madagaskar auf.

Madagascar must end mass killings and investigate security forces

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