Amnesty Report Turkmenistan 28. März 2023

Turkmenistan 2022

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Schwere Menschenrechtsverletzungen waren nach wie vor an der Tagesordnung. So mussten Personen, die die offizielle politische Linie kritisierten oder hinterfragten, mit willkürlicher Inhaftierung und politisch motivierten Verurteilungen rechnen. Die Behörden übten weiterhin strenge Kontrolle über den Zugang zu Informationen und über sämtliche Medien aus. Turkmenistan ergriff keine wirksamen Maßnahmen gegen den Klimawandel. Die Rechte und Freiheiten von Frauen und Mädchen, darunter die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, wurden weiter eingeschränkt. Schwangerschaftsabbrüche waren faktisch verboten. Einvernehmlicher Sex zwischen Männern blieb eine Straftat.

Hintergrund

Nach Wahlen, die von internationalen Beobachter*innen als weder frei noch fair bezeichnet wurden, folgte im März 2022 Serdar Berdimuhamedow seinem Vater Gurbanguly Berdimuhamedow im Amt des Präsidenten nach. Er ergriff im Laufe des Jahres 2022 weder wirksame Maßnahmen gegen die Verschlechterung der sozioökonomischen Lage und der Gesundheitsversorgung noch gegen die Klimakrise.

Unterdrückung Andersdenkender

Die Behörden setzten ihren unerbittlichen Feldzug zur Unterdrückung aller Formen friedlicher Opposition und öffentlicher Kritik fort.

Im Mai 2022 kam die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen zu dem Schluss, dass der Anwalt Pygamberdy Allaberdyev im Jahr 2020 allein wegen der friedlichen Ausübung seiner Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit festgenommen und wegen Rowdytums zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war. Als Pygamberdy Allaberdyev damals von der Polizei festgenommen wurde, weil er einen Kunden in einer Bäckerei gewaltsam angegriffen haben soll, war er gerade dabei, eine friedliche Demonstration zu organisieren. Die Geheimverhandlung gegen ihn dauerte nur zwei Stunden, und er wurde ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, bis er im Dezember 2022 nach einer Begnadigung durch den Präsidenten freikam.

Die Behörden setzten auch ihre Bestrebungen fort, friedliche Proteste von im Ausland lebenden turkmenischen Staatsangehörigen zu unterbinden. Im August 2022 attackierten Mitarbeiter des turkmenischen Generalkonsulats im türkischen Istanbul fünf im Exil lebende turkmenische Aktivist*innen sowie deren türkische Anwältin und einen türkischen Menschenrechtler verbal und körperlich, als diese ein Schreiben übergeben wollten, in dem sie ihre Besorgnis über die Menschenrechtssituation in Turkmenistan zum Ausdruck brachten. Atamurat Saparov, der am Kopf verletzt wurde und erste Hilfe benötigte, sowie Dursoltan Taganova wurden kurzzeitig von der türkischen Polizei festgehalten.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Behörden kontrollierten den Zugang zu Informationen und zensierten jegliche Berichterstattung über negative Entwicklungen, wie etwa wirtschaftliche Not, Mangel an Grundnahrungsmitteln, die Auswirkungen des Klimawandels und Covid-19. Der Zugang zum Internet war stark eingeschränkt, um die Menschen daran zu hindern, sich alternative Informationen aus dem Ausland zu besorgen. Fergana Media berichtete im Oktober 2022, dass die Behörden 1,2 Milliarden IP-Adressen blockiert hatten. Die Inlandsgeheimdienste überwachten die Nutzung virtueller privater Netzwerke (VPNs) und Proxy-Server streng, um hart gegen Personen durchzugreifen, die staatliche Kontrollen zu umgehen versuchten. Die Betroffenen riskierten Geldstrafen, Inhaftierung und mögliche strafrechtliche Verfolgung.

Die unabhängige Journalistin Soltan Achilova, die zuvor bei Radio Free Europe/Radio Liberty gearbeitet hatte, berichtete, dass die Geheimdienste sie streng überwachten. Zudem würden sie Personen, die sie zu wirtschaftlichen und sozialen Problemen interviewt hatte, warnen, dass sie mit Organisationen zusammenarbeite, die den Staat zersetzen wollten.

Am 14. Juli 2022 begingen Angehörige des Europäischen Parlaments, Menschenrechtsverteidiger*innen und unabhängige Journalist*innen den ersten Jahrestag der Inhaftierung der Ärztin Khursanai Ismatullaeva und gaben eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sie ihre sofortige Freilassung forderten. Khursanai Ismatullaeva war 2021 nach einem unfairen Gerichtsverfahren auf der Grundlage konstruierter Vorwürfe wegen Betrugs zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Zuvor hatte die Ärztin sich an Menschenrechtsverteidiger*innen und unabhängige Journalist*innen gewandt, um gegen ihre ungerechtfertigte Entlassung aus dem Dienst an einer Geburtsklinik vorzugehen. Khursanai Ismatullaeva kam im Dezember 2022 im Rahmen einer Amnestie frei.

Klimakrise

Trotz einer 2012 verabschiedeten, viel gepriesenen nationalen Strategie gegen den Klimawandel erließ Turkmenistan keine Gesetze oder Richtlinien, um den Einsatz fossiler Brennstoffe zeitnah und wirksam auslaufen zu lassen. Neue nationale Klimabeiträge (Nationally Determined Contributions – NDC) wurden erst im Mai 2022 auf den Weg gebracht. Turkmenistan war nach wie vor einer der größten Methangasemittenten der Welt und unternahm weiterhin kaum etwas, um Lecks zu flicken oder schädliche Praktiken bei der Förderung von Öl und Gas abzuschaffen. Von der Internationalen Raumstation zwischen Juli und Oktober 2022 gesammelte Daten zeigten, dass Turkmenistan noch immer ein "Superemittent" war.

Turkmenistan zählte auch 2022 zu den Ländern, die weltweit am schwersten von den steigenden Temperaturen und der daraus folgenden Versteppung des bereits knappen bebaubaren Ackerlands betroffen waren. Dennoch wurden keine wesentlichen schadensmindernden und menschenrechtskonformen Anpassungsmaßnahmen ergriffen, um die Folgen der Klimakrise speziell für gefährdete Gruppen abzumildern. Im November 2022 hob das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen hervor, dass Frauen in den ländlichen Gebieten Turkmenistans besonders in Gefahr waren, unverhältnismäßig stark vom Klimawandel in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Diskriminierung

Die Behörden diskriminierten Frauen und Mädchen sowie lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) weiterhin, indem sie im Namen der kulturellen Traditionen und der Turkmeniçilik (der nationalen turkmenischen Identität) willkürlich deren Rechte, Freiheiten und körperliche Selbstbestimmung einschränkten.

Frauen und Mädchen

Im April 2022 begann die Polizei neue Regeln durchzusetzen, wonach Frauen im Auto nicht mehr vorne auf dem Beifahrersitz sitzen dürfen. Überdies nahmen Sicherheitskräfte Kosmetikstudios ins Visier, nachdem die Regierung interne Anweisungen erlassen hatte, die de facto bedeuteten, dass bestimmte Behandlungen wie etwa Wimpern- und Nagelverlängerungen sowie Botoxinjektionen nicht mehr länger erlaubt sind. Diesen Anweisungen fehlte es nicht nur an rechtlicher Klarheit, sie stellten auch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar und wurden von der Polizei willkürlich durchgesetzt.

LGBTI+

Einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Männern waren unter Paragraf 133 (vorher Paragraf 135) des Strafgesetzbuchs nach wie vor strafbar und konnten mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. In seinem dritten periodischen Bericht an den UN-Menschenrechtsausschuss im Jahr 2020 hatte Turkmenistan sich verpflichtet, den Paragrafen zu überarbeiten, und eine Entkriminalisierung in Aussicht gestellt, doch waren hierzu auch 2022 keine Fortschritte zu verzeichnen.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Im April 2022 veröffentlichten die Behörden ein Gesetz, das bereits 2015 verabschiedet, jedoch nie öffentlich gemacht worden war, und das den zulässigen Zeitraum für einen Schwangerschaftsabbruch von zwölf auf fünf Wochen herabsetzte. Dies kam faktisch einem Abtreibungsverbot gleich, da Schwangerschaften nur selten so früh festgestellt werden. Aktivist*innen, die sich für die reproduktive Gesundheit einsetzen, äußerten die Befürchtung, dass Frauen und Mädchen damit zum Austragen unerwünschter Schwangerschaften oder zu gesetzwidrigen, unsicheren Abbrüchen gezwungen würden. Eine Studie des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen zu reproduktiven Rechten in Turkmenistan aus dem Jahr 2021 stellte fest, dass 60 Prozent aller Frauen nicht in der Lage waren, eigenständige Entscheidungen über Verhütung und Schwangerschaft zu treffen. Die nationalen Medien förderten weiterhin geschlechtsspezifische Stereotype und priesen die Rolle von Frauen als Ehefrauen und Mütter, die sich ihren Ehemännern unterzuordnen haben.

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