Amnesty Report Mali 24. April 2024

Mali 2023

Ein Mann, Kinder und Kühe auf einem matschigen Weg vor Wellblechhütten.

Ein Flüchtlingslager, das auch ein Markt ist: Camp Faladie in der malischen Hauptstadt Bamako (Archivaufnahme vom Juni 2022).

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden unterdrückt. Zwei Journalisten und ein Menschenrechtsverteidiger fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer, und Regierungskritiker*innen wurden willkürlich inhaftiert. Die Armee, ausländisches Militärpersonal und bewaffnete Gruppen verübten außergerichtliche Hinrichtungen, rechtswidrige Tötungen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen. Die Vereinten Nationen dokumentierten Hunderte Fälle sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Gerichtsverfahren zur Tötung von Menschen, die aufgrund ihrer Arbeit und ihrer Abstammung diskriminiert und attackiert worden waren, endeten mit Schuldsprüchen.

Hintergrund

Der bewaffnete Konflikt zwischen der Armee und bewaffneten Gruppen dauerte 2023 an. In der Region Gao kämpften die Gruppe zur Unterstützung des Islams und der Muslime (Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin – JNIM) und die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat Provinz Sahel (IS Sahel) um die Vorherrschaft.

Es wurde eine neue Verfassung angenommen, nachdem bei einem Referendum die Mehrheit der Teilnehmenden dafür gestimmt hatte.

Im Juni 2023 beschloss der UN-Sicherheitsrat das Ende der Mehrdimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) zum 31. Dezember 2023. Vor dem Hintergrund des schrittweisen Abzugs der UN-Truppen und des gescheiterten Friedens- und Versöhnungsabkommens von 2015 brachen im August 2023 Kämpfe zwischen der Armee und einem Bündnis bewaffneter Gruppen (Cadre stratégique permanent pour la paix, la sécurité et le développement – CSP-PSD) aus. Im November 2023 eroberten Regierungseinheiten die Stadt Kidal vom CSP-PSD zurück.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Menschenrechtsverteidigerin Aminata Dicko ging im Januar 2023 erst nach Genf und dann nach Paris ins Exil, nachdem sie in einer Anhörung des UN-Sicherheitsrats Menschenrechtsverletzungen der malischen Streitkräfte angeprangert hatte. Die Gendarmerie hatte sie daraufhin vorgeladen und im Zusammenhang mit Vorwürfen des Hochverrats und der Verleumdung verhört. 

Im August 2023 wurde der Richter Cheick Mohamed Cherif Koné aus der Richterkammer ausgeschlossen, sein Kollege Dramane Diarra im September 2023. Beide waren Mitglieder der Demokratiebewegung L’Appel du 20 février 2023. Cheick Koné war bereits 2021 als leitender Generalanwalt am Obersten Gerichtshof abgesetzt worden, nachdem er gerichtliche Ermittlungen kritisiert hatte. Er hatte sich u. a. auf den Fall des ehemaligen Regierungschefs Soumeylou Boubèye Maïga bezogen, der dann 2022 in der Untersuchungshaft starb.

Recht auf friedliche Versammlung

Im August 2023 töteten Sicherheitskräfte im Bezirk Bandiagara (Region Mopti) einen Mann und verletzten sieben weitere Menschen, als sie auf Demonstrierende schossen, die gegen Tötungen durch bewaffnete Gruppen protestierten. 

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Der Journalist Mohamed Youssouf Bathily (auch bekannt als Ras Bath) wurde im März 2023 festgenommen und wegen "haltloser Behauptungen" und "Verunglimpfung des Staates" angeklagt, nachdem er im Radio erklärt hatte, Soumeylou Boubèye Maïga sei "ermordet" worden (siehe "Recht auf freie Meinungsäußerung"). Im Juli 2023 wurde der Journalist zwar vom ersten Anklagepunkt freigesprochen, blieb jedoch in Haft.

Ebenfalls im März kam Rokiatou Doumbia (auch bekannt als Rose Vie Chère) in Haft, weil sie auf Tiktok die Wirtschafts- und Sicherheitspolitik der Regierung kritisiert hatte. Sie wurde wegen "Anstiftung zur Rebellion" und "Störung der öffentlichen Ordnung" angeklagt und im August zu einer einjährigen Haftstrafe und einer Geldstrafe in Höhe von 1 Mio. CFA-Francs (etwa 1.500 Euro) verurteilt.

Im September 2023 nahmen Sicherheitskräfte Adama Ben Diarra (auch bekannt als Ben le Cerveau) fest, ein Mitglied des Nationalen Übergangsrats, der als Parlament fungierte. Weil er im Radio gesagt hatte, die Regierung solle die Präsidentschaftswahl – wie versprochen – im Februar 2024 abhalten, wurde er wegen "Verunglimpfung des Staates" zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, davon ein Jahr auf Bewährung, und aus dem Nationalen Übergangsrat ausgeschlossen.

Verschwindenlassen

Am 26. Januar 2023 entführten unbekannte Personen, bei denen es sich vermutlich um Sicherheitskräfte handelte, Sory Koné, den Programmdirektor von Radio DANAYA, aus seinem Haus in Souba (Region Ségou). Am Jahresende waren sein Schicksal und Verbleib noch immer unbekannt.

Im April 2023 wurde der Journalist Aliou Touré fünf Tage lang an einem unbekannten Ort festgehalten, ein weiterer Journalist, Idriss Martinez Konipo, drei Tage lang. Beide befanden sich mutmaßlich in Gewahrsam der Sicherheitskräfte.

Unbekannt waren auch das Schicksal und der Verbleib des Menschenrechtsverteidigers Hammadoun Dicko, den Unbekannte im Dezember 2023 in der Hauptstadt Bamako verschleppten.

Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht

Bewaffnete Gruppen

Am 22. April 2023 griff die bewaffnete Gruppe JNIM in Sévaré (Region Mopti) Armeestützpunkte in der Nähe des Flughafens und eines UN-Stützpunkts an. Nach Angaben der Regierung wurden zehn Zivilpersonen getötet und 61 weitere verletzt. Außerdem wurden bei dem Angriff 20 Häuser und Unterkünfte für Binnenvertriebene zerstört.

Mitglieder der bewaffneten Gruppe IS Sahel griffen am 27. und 28. Juni 2023 die Dörfer Gaina und Boyna in der Region Gao an und töteten 17 Einwohner*innen. Nach dem Angriff stahlen sie Vieh und entführten mindestens vier Dorfbewohner*innen aus Boyna.

Im Juli 2023 griffen Bewaffnete das Dorf Djankoin in der Region Ségou an. Nach Angaben von Einwohner*innen und Medien töteten sie mindestens zehn Zivilpersonen.

Medienberichten zufolge verübte die bewaffnete Gruppe JNIM im August 2023 Angriffe in der Region Bandiagara und tötete dabei 15 Zivilpersonen in Bodio sowie 22 weitere in Yarou.

Ab August 2023 schränkte die JNIM den Zugang zur Stadt Timbuktu ein, nachdem die UN-Truppen aus dem Gebiet abgezogen waren und die Armee die Militärstützpunkte Goundam und Ber in der Nähe von Timbuktu wieder eingenommen hatte. Nach Angaben des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) verließen mindestens 33.100 Menschen Timbuktu, um der Belagerung zu entgehen, und zogen in Nachbarländer.

Am 7. September 2023 griffen bewaffnete Kämpfer in der Nähe des Dorfes Zarhoy ein ziviles Passagierboot an, das von Gao nach Mopti unterwegs war. Dabei töteten sie mindestens 49 Zivilpersonen und 15 Soldaten. 

Streitkräfte und ihre Verbündeten

Im Mai 2023 veröffentlichte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte die Ergebnisse seiner Untersuchung einer Militäroperation in der Stadt Moura im März 2022. Der Bericht stellte fest, dass malische Soldaten und ausländisches Militärpersonal während der fünftägigen Operation etwa 500 Menschen summarisch hingerichtet und mindestens 58 Frauen und Mädchen vergewaltigt hatten. Für die Tötungen wurde niemand zur Verantwortung gezogen. Die malischen Streitkräfte und die mit ihnen verbündeten ausländischen Militärs verübten weiterhin Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch trieben Soldaten und ausländisches Militärpersonal am 6. März 2023 bei einer gemeinsamen Patrouille in Sossobé (Region Mopti) 200 Männer zusammen und brachten sie zu einer Moschee. Laut Augenzeug*innen wurden die Leichen von fünf Männern später am Stadtrand von Sossobé gefunden. 21 Männer, denen man die Augen verbunden und Handschellen angelegt hatte, wurden mit Hubschraubern abtransportiert. Wohin man sie brachte und was mit ihnen geschah, war nicht bekannt. Die übrigen wurden freigelassen.

Bei einem weiteren gemeinsamen Einsatz der Armee und ausländischer Militärs im März 2023, an dem auch Jäger der Dozo beteiligt waren, wurden Medienberichten zufolge in Ouenkoro 26 Menschen getötet, unter ihnen ein sechsjähriger Junge. Soldaten nahmen Menschen, die den Markt des Orts besuchten, ihre Smartphones ab, um zu verhindern, dass sie Beweise für die Menschenrechtsverletzungen weitergeben konnten.

Augenzeugenberichten zufolge griff ausländisches Militärpersonal am 9. Mai 2023 ein Lager von Hirten in Gogoro (Region Douentza) an und tötete elf Zivilpersonen. Außerdem verschleppten die Militärs drei Männer und einen zehnjährigen Jungen, deren Schicksal und Verbleib unbekannt blieben.

Bei einer Armeeoffensive am 5. Oktober 2023 richteten Soldaten in Begleitung ausländischer Militärs in Ersane im Bezirk Bourem (Region Gao) 17 Dorfbewohner außergerichtlich hin. Laut Medien und lokalen Quellen wurden die Männer enthauptet und 15 der Leichname mit Sprengfallen versehen.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Von Januar bis März 2023 dokumentierten die Vereinten Nationen 470 Fälle sexualisierter Gewalt durch bewaffnete Gruppen sowie durch die Armee und die mit ihr verbündeten Kräfte. In 51 Fällen standen die Gewalttaten direkt mit dem bewaffneten Konflikt in Verbindung. Die Opfer waren Frauen sowie elf Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren.

Diskriminierung

Menschen wurden weiterhin häufig aufgrund ihrer Arbeit und Abstammung Opfer von Gewalt und Diskriminierung. Im Mai 2023 stellten UN-Expert*innen fest, dass Versklavung aufgrund der Abstammung immer noch weit verbreitet war, und forderten die malischen Behörden auf, Sklaverei unter Strafe zu stellen. Im Februar und März 2023 sprach das Schwurgericht in Kayes 56 Personen im Zusammenhang mit Ausschreitungen im Jahr 2020 in der Stadt Diandioumé und 2021 in Bafoulabé schuldig. Damals waren auch Menschen getötet worden, die aufgrund ihrer Arbeit und ihrer Abstammung diskriminiert wurden.

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