Amnesty Journal Syrien 01. Februar 2019

Zuhause bei den Gotteskriegern

Männer in Uniformen machen sportliche Übungen

Martialischer Morgenkreis. Kämpfer der Al-Nusra-Front in Syrien; Szene aus dem Film "Of Fathers and Sons"

Zwei Jahre begleitete Regisseur Talal Derki syrische Dschihadisten. Sein Familienfilm "Of Fathers and Sons" ist ein erschütterndes Porträt einer verlorenen Generation.

Von Jürgen Kiontke

"Papa, ich habe einen Vogel geschlachtet. Mit einem ­Messer. Wie du es mit dem Mann gemacht hast."

"Vögel töten ist erlaubt, sagt Allah."

Er habe in ein schwarzes Loch geschaut, erzählt der ­Regisseur Talal Derki, der mittlerweile in Berlin lebt, über die zwei Jahre, die er die Islamistenmiliz al-Nusra-Front in Syrien begleitete, die sich 2016 von Al Qaida lossagte und seitdem unter dem Namen Jabhat Fatah al-Sham firmiert. Für seinen Dokumentarfilm "Of Fathers and Sons" war der 41-Jährige in sein Heimatland ­zurückgekehrt. Mit der Kamera protokollierte er das Leben des al-Nusra-Mitgründers Abu Osama und das seiner Söhne. Dem hatte er erzählt, er sei Kriegsfotograf mit Sympathie für den ­Salafismus. Osama ließ ihn an einem Familienleben teilhaben, in dem Gewalt in Wort und Tat alltäglich sind.

Abu Osama, der davon lebt, Bomben zu entschärfen und die Zünder weiterzuverkaufen, auf dass sie in neuen Bomben neuen Schaden anrichten, träumt vom Kalifat. "Gerecht und friedlich" werde es sein. Ein Frieden, den niemand mehr stört, weil niemand den Kampf dafür überlebt. Seine Söhne, der 12-jährige Ayman und der 13-jährige Osama, sollen ihm bei der Einrichtung dieser Todeszone helfen, ihre berufliche Zukunft ist vorgezeichnet. Sie sollen islamische Gotteskrieger werden.

Der Film eröffnet mit einer Autofahrt, aus dem Radio dröhnt ortsübliche Musik. "Lasst die Enthauptungen beginnen", rappt der Sänger, "macht euch bereit zu sterben." Der Sohn fragt seinen Vater: "Wie hast du das Land befreit, Papa?"

Befreiung ist ein variabler Begriff, wie sich kurz darauf zeigt. Da liegt Abu Osama in einem Hinterhalt mit einem Präzisionsgewehr auf der Lauer. Er schießt einen Mann vom Motorrad. "Ich hab’ ihn erwischt. Er versucht, sich zu verstecken." Aber das Gewehr klemmt. Als er die Waffe wechselt, ist das Opfer ­verschwunden. Die Kamera schwenkt über das Tal, zahlreiche Brandherde sind zu sehen. Regisseur Derki sitzt in einer Ecke: "Ich wusste ja von Anfang an, was er tut. Wir sitzen da, ich interviewe ihn, dann versucht er, einen anderen Vater zu töten!" Als Chronist habe er nicht einschreiten können. Sein eigenes Schicksal wäre besiegelt gewesen.

Kampfhandlungen abzubilden ist das eine; das andere ist es, einen Film über junge Menschen zu drehen, die in Not aufwachsen. Denn der eigene Vater plant nicht, wie ihr Leben aussehen könnte, im Gegenteil. Er wünscht ihnen einen ehrenvollen Tod. Als Zuschauer verliert man angesichts solcher Szenen über weite Strecken die Hoffnung, was den Zustand der Welt betrifft, oder man reagiert darauf mit Engagement. Amnesty International Slowenien jedenfalls vergab den diesjährigen Menschenrechtsfilmpreis an Derki.

Oft wird Künstlern, die wie Derki arbeiten, ein Hang zur Selbstgefährdung nachgesagt. Aber sie berichten auch aus sonst nicht zugänglichen Gebieten, indem sie sich der Gefahr aussetzen. Eine beeindruckende Arbeit. "Meine Botschaft ist: Was hier passiert, kann jederzeit auch woanders passieren. Wenn wir – als Welt – nicht die Gesellschaften schützen, entsteht irgendwo das nächste Chaos", warnt Derki. Die syrischen Jugendlichen, die zum Krieg und zu sonst gar nichts ausgebildet werden, stehen modellhaft für eine vernachlässigte Jugend in Gebieten, die ökonomisch und politisch instabil und umkämpft sind.

Derki hat zuvor als Kameramann für arabische und amerikanische Fernsehstationen aus dem Syrienkrieg berichtet. Er hat den Film "Zurück nach Homs" gedreht, in dem ein junger Mann sich während der Proteste gegen die Regierung Baschar al-Assads radikalisiert und in der Rebellenarmee landet, die mit Waffen und Geld aus dem Ausland versorgt wird. Derki wollte herausfinden, warum junge Männer als Kampf­maschinen enden.

So kam er auf die Familie Abu Osamas. Dieser hat zwölf Söhne, Ayman und Osama stehen am Ende ihrer Kindheit. Im Film zu sehen sind Szenen im und um das Haus Osamas herum. Gewalt beherrscht die Kommunikation, die Söhne wollen Soldaten werden. Ihre alterstypischen Prügeleien wirken vor dem Hintergrund des Krieges alles andere als spielerisch. Man nimmt es ­ihnen ab, wenn sie sagen: "Ich töte dich."

Ihr Vater erzählt: "Im Ort haben Jesiden, Christen und Sufis gewohnt. Jetzt sind wir allein." Einen seiner Söhne hat er nach Mohammed Atta benannt, einem der Attentäter auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. "Mohammed ist tatsächlich am 11. September geboren." Und sein Sohn Osama ist nach Osama bin Laden, dem Gründer von Al Qaida, benannt. Über Abu Osama sagt Derki, er sei das Paradebeispiel ­eines willensstarken Vaters in einer radikalen Gesellschaft, der seine Söhne durch eine harte Ausbildung führt. "Ich wollte zeigen, wie die destruktiven Ideen von Generation zu Generation weiterleben."

"Of Fathers and Sons" zeigt nur eine Szene, in der eine Frau vorkommt, und das nur akustisch. Abu Osama verliert im Einsatz ein Bein. Als er aus der Klinik kommt, weinen die Kinder. Aus dem Nebenzimmer hört man eine seiner beiden Frauen ­klagen. Sie solle das Maul halten, ruft er. Frauen zu filmen, sei das Einzige gewesen, was bei den Dreh­arbeiten absolut verboten war, berichtet Derki. Es sei ihnen nicht erlaubt, sich von fremden Männern ansehen oder ansprechen zu lassen. Während das Familienoberhaupt sich vor Schmerzen auf ­seinem Bett krümmt, basteln die Kinder Bomben aus Plastik­flaschen, Zitronensäure und roter Erde. "Wir verstecken sie. Wenn einer drauftritt, explodiert er."

Bald übersiedeln Ayman und Osama in ein Ausbildungscamp. Die Soldaten lassen sie unter Stacheldraht hindurchkriechen, durch Röhren und durchs Wasser. Um den Nachwuchs kampftauglich zu machen, schießen sie scharf – und zielen ­neben die Köpfe der Schüler. Die Ausbildung ist grausam und gefährlich und soll es auch sein. Wenn sie nicht trainieren, ­rezitieren die Jungen den Koran.

Ob man seinen Film auch falsch verstehen könne, als Propaganda für den Kampf? Da müsse man irre sein, findet Derki. Vor einigen Monaten wurde Abu Osama getötet. Den Film hat er nicht gesehen. Auch sonst hat bisher niemand danach gefragt, Kontakte zu der Familie gibt es nicht.

Derzeit gewinnen Assads Einheiten wieder Terrain in Syrien. Doch das Land ist nach wie vor in Einflusszonen in- und ausländischer Kräfte aufgeteilt, die sich bekämpfen. Wie ein dauerhafter Frieden aussehen könnte, weiß niemand.

"Ich möchte manchmal optimistisch sein, daran glauben, dass die Kinder ein bisschen verstehen werden, was abgeht. Dass denen der Dschihad egal wird", erzählt Derki. Sein Film lässt da manchmal Hoffnung aufkeimen. Es gibt einen Moment, in dem drei der Jungen abends in einem kahlen Raum auf einer Matratze sitzen und sich gegenseitig Rechenaufgaben stellen. Osama sagt: "Wir brauchen Grips, um Sachen zu verstehen." Und hat er nicht sogar den Vater angelogen, war gar nicht beten? Verfängt vielleicht die ganze Kampfpropaganda bei den Kindern gar nicht richtig?

Derki sagt, ihm sei es darum gegangen, zu zeigen, dass Ungerechtigkeit und ein Mangel an Bildung die Basis für ideologischen Fanatismus bilden. "Der Dschihadist ist die Spitze der ­Radikalisierungsbewegung in der Welt von heute." Das müsse nicht so sein. Wenn es keine Gewalt gegen Frauen und Kinder gäbe, wenn es vielleicht ein Gesetz gäbe, das vorschriebe, dass Kinder in die Schule gehen müssen, dann würden es die Dschihadisten nicht schaffen, so viel Macht zu gewinnen, glaubt der Regisseur. Er wolle mit seinem Film das Gespür für die Rechte der Kinder in muslimischen Ländern schärfen. "Wenn ein Lehrer Kinder schlägt, soll er dafür vor Gericht kommen. Ich will, dass der Kreis der Gewalt durchbrochen wird. Denn wenn du mit Gewalt aufwächst, bist du bereit, sie weiterzu­geben."

Nein. Vögel töten ist nicht erlaubt.

 

"Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats". D/LBN/ SYR 2018. ­Regie: Talal Derki. Kinostart: 21. März 2019

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