Amnesty Journal Saudi-Arabien 04. Juni 2018

Wer will schon die Welt retten

Ein Mann sitzt in einem Sessel und hält in der rechten Hand einen Globus

Weltenbummler Otto Pfister

Mit Ghanas Juniorenmannschaft wurde Otto Pfister Weltmeister, heute leitet der älteste Nationaltrainer der Welt die Auswahl Afghanistans – vielleicht seine letzte Station als Coach in Krisenstaaten und Diktaturen.

Von Simon Riesche

Unglaublich, aber wahr" – mit diesen Worten leitet Otto Pfister viele seiner Geschichten ein. Spannungspause, Zigarette anzünden, Schlückchen Kaffee. Der 80 Jahre alte Fußballtrainer macht es sich auf einem Stuhl auf der Terrasse eines Bahnhofsbistros im Schweizer Städtchen Sargans bequem. Ein paar Autominuten entfernt lebt er zusammen mit seiner Frau mit Blick auf herrliches Bergpanorama. "Wunderschön" sei es hier, sagt Pfister und lächelt. "Aber wenn ich drei Wochen am Stück zuhause bin, meldet sich das Fernweh."

Gerade trainiert der Mann mit dem weißen Haarkranz die Nationalmannschaft Afghanistans. "Keine leichte Aufgabe, dem Land geht es schlecht", sagt er nachdenklich. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage in Kabul trägt das Team seine Heimspiele außerhalb des Landes aus, zuletzt in Tadschikistan. "Für mich ist es trotzdem enorm wichtig zu erfahren, wie die Stimmung im Land ist", sagt Pfister. Der Grund: "Immer mehr Menschen verfolgen unsere Spiele am Fernseher." Im März schlug seine Elf die Auswahl Kambodschas mit 2:1. "Der Fußball macht die Leute in Afghanistan glücklich, zumindest hin und wieder", sagt der derzeit älteste Nationaltrainer der Welt.

Wer mit Pfister über seine Karriere sprechen will, sollte Zeit mitbringen – und vorher intensiv den Atlas studiert haben. Fünf Jahre lang arbeitete er in Ghana, vier Jahre in Ruanda. Er trainierte die Nationalmannschaft von Saudi-Arabien, ebenso die Auswahl von Trinidad und Tobago. Insgesamt zwölf Nationalteams stehen auf seiner Liste, dazu kommen zahlreiche Jobs als Vereinstrainer. USM Algier, Zamalek Kairo, CS Sfax in Tunesien, um nur einige zu nennen. Mehrmals gewann er nationale Meisterschaften, mit Ghanas Juniorenmannschaft wurde er sogar Weltmeister – und hat noch immer nicht genug.

Einen Trainerjob in Deutschland hatte der gebürtige Kölner nie. "Es hat sich nie ergeben", sagt er und zuckt mit den Schultern. Dafür kenne er sich jetzt "in der Innenstadt von Damaskus besser aus als im Kölner Severinsviertel". Im Arbeitszimmer des Rheinländers hängt eine Weltkarte, auf der alle Länder, in denen er gewesen ist, markiert sind ("nur Umsteigen am Flughafen zählt nicht"). "Ich komme auf 138 Staaten", strahlt er und versucht erst gar nicht den Stolz darüber zu unterdrücken. "Ich habe kein Abitur, aber ich habe in meinem Leben die Welt gesehen. Ich habe fremde Kulturen erlebt und viele Sprachen gelernt. Das alles habe ich dem Fußball zu verdanken."

Dass der Fußball sein Leben verändert hat, stehe außer Frage, sagt Otto Pfister. Aber hat der Fußball auch die Kraft, die Welt zu verändern? Man merkt dem Trainer an, dass er diese Frage gerne schnell bejahen würde, es sich so einfach dann aber doch nicht machen will. Je länger Pfister über die gesellschaftliche Rolle des Fußballs referiert, desto klarer wird, dass er seinen Sport eher als Spiegel der Welt versteht, weniger als Instrument, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das liegt weniger am Spiel selbst, als am Drumherum, das der ausgebildete Fußballlehrer in den letzten Jahrzehnten auf seinen Reisen hautnah miterlebt hat.

"Ich habe in meiner ganzen Karriere nie ein Problem mit Spielern gehabt, immer nur mit Funktionären und anderen Leuten, die Einfluss nehmen wollen", sagt Pfister und nippt am Kaffee. Dann erzählt er wort- und gestenreich von der chaotischen WM-Teilnahme mit Togo 2006, die beinahe gescheitert wäre, weil korrupte Verbandsleute sich geweigert hatten, die vereinbarten Prämien an die Spieler auszuzahlen. Ihm sei "nichts anderes übrig geblieben", als vorübergehend zu kündigen. Wild fuchtelnd erzählt er von unzähligen Auseinandersetzungen mit "windigen Spielervermittlern", die junge Talente "mit schnellem Geld und falschen Versprechungen überschütten". Das beschädige Menschen und Karrieren "nachhaltig".

Vor allem aber sind ihm zahlreiche bizarre Aufeinandertreffen mit Sportministern, Staatspräsidenten und Diktatoren in Erinnerung geblieben, die hinter den Kulissen Druck aufbauen – in Ländern, in denen nicht nur Lederbälle, sondern auch Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

"Mobutus Leute klopften um kurz vor drei Uhr nachts", erinnert sich Pfister, Ende der 1980er Jahre Nationaltrainer von Zaire, heute Demokratische Republik Kongo. Die spontane Ein­ladung des zentralafrikanischen Gewaltherrschers war eher als Befehl zu verstehen: "Trainer, der Präsident möchte sie sehen." Er erwarte eine erfolgreiche Qualifikation für den Afrika-Cup 1988, habe ihm der angetrunkene Diktator dann in seinem Palast aufgetragen. "Zum Glück haben wir die Qualifikation geschafft", seufzt Pfister. Als Ausländer habe er zwar selber keine Angst vor einer Wutreaktion des Folterregimes gehabt, aber um seine Spieler machte er sich Sorgen.

Während des Turniers in Marokko habe ihn Mobutu Sese Seko dann noch einmal nachts rufen lassen. Mit dem Taxi ging es von Casablanca in die Präsidentensuite nach Marrakesch, zurück in Mobutus Präsidentenflugzeug, mit zwei Plastiktüten auf den Knien. Inhalt: 80.000 Dollar in bar, die der Trainer als Dankeschön für die sportlichen Erfolge an seine Spieler verteilen sollte. "Unglaublich, aber wahr", sagt Pfister mal wieder. "So ­ticken diese Diktatoren."

Über die Macht des Geldes auch im Fußball macht sich Pfister keine Illusionen. "Ohne Kohle geht nichts, das ist einfach so." Dass ein kleines und reiches Land wie Katar, in dem rechtlose Arbeiter unter Lebensgefahr High-Tech-Stadien errichten, die Weltmeisterschaft 2022 austragen darf, will er nicht kommentieren. Was die Betrachtung des Fußballgeschäfts betrifft, möchte er sich eigentlich einen distanzierten Blick bewahren – und ist doch immer wieder hin- und hergerissen.

Dass etwa sein früherer Arbeitgeber, der sudanesische Spitzenklub Al-Merrikh, Millionen Dollar in ein modernes Stadion steckte, während im Slum nebenan Menschen ums Überleben kämpften, fand er schon sehr befremdlich. "Da denkt man sich, dass das alles doch wohl nicht wahr sein darf." Gleichzeitig glaubt Pfister weiter an die Strahlkraft des Spiels. "Wenn der Fußball in Caracas, Kairo oder Kinshasa die jungen Leute von der Straße holt, weg von den Drogen oder der Kriminalität, dann sieht man, dass unser Sport schon eine große Wirkung hat."

Dann erzählt er noch einmal die Geschichte von Kameruns Topstürmer Samuel Eto’o, der ihn, den am Boden zerstörten ­Coach, nach einem verlorenen Finale in seinem Hotelzimmer besuchte. "Trainer, wenn Sie in so einem Elend groß geworden wären wie ich, würde Ihnen ein verlorenes Fußballspiel nicht so viel ausmachen."

Und so bleiben vom sonnigen Nachmittag mit Otto Pfister, dem nimmermüden Weltenbummler in Sachen Fußball, zwei Sätze in Erinnerung: "Fußball ist mein Leben", ist der eine. Der andere passt damit, zumindest auf den ersten Blick, nicht zusammen: "Fußball ist nicht alles im Leben."

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