Amnesty Journal Saudi-Arabien 25. Oktober 2022

Höher, schneller, angesehener

Ein Mann in einem Fussballtrikot steht mit seinen Armen und Fäusten hochgereckt jubelnd in einem Fussballstadion vor einer Tribüne.Foto: Paul Terry / Newscom / pa

Tote Arbeiter*innen auf Baustellen, fehlende Grundrechte und verletzte Menschenrechte verleihen einigen arabischen Staaten ein schlechtes Image. Durch Sportswashing versuchen sie das zu verändern, ohne die Missstände abzustellen.

Von Martin Krauß

Die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer, die im November und Dezember mit 32 teilnehmenden Teams in Katar ausgetragen wird, sorgt einmal mehr dafür, dass das Land globales Interesse auf sich zieht. Sehr viel Interesse sogar, wenn man bedenkt, dass in Katar nur 2,8 Millionen Menschen leben, von denen weniger als 300.000 Staatsbürger*innen sind; unter allen anderen Einwohner*innen überwiegen migrantische Arbeiter*innen mit deutlich weniger Rechten.

Bereits seit Jahren kauft das Emirat große Sportveranstaltungen ein: In der Leichtathletik fand dort 2019 die Freiluft-WM statt. Und seit 2010 ist der Qatar ­Athletic Super Grand Prix Teil der IAAF Diamond League, einer Serie wichtiger Wettkämpfe für Weltklasseathlet*innen. Im Radsport fand 2016 im Emirat die ­Straßen-WM statt. Die Schwimmer wollen ihre WM 2024 dort austragen, die Turn-WM war 2018 vor Ort, im Tennis sind die Qatar Open für Männer und Frauen ein wichtiger Termin, und auch die Formel-1 gibt es. Fehlen nur noch Olympische Spiele; um die hat sich das Emirat zweimal vergeblich bemüht, doch für 2036 sieht es gut aus.

Homo­sexualität strafrechtlich verfolgt

Sport steht für etwas, für das Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) oder das Königreich Saudi-Arabien gemeinhin nicht stehen: Weltoffenheit, Modernität, Jugendlichkeit und seinen Körper bisweilen auch minimal bekleidet zu zeigen. Davon lässt sich profitieren. Sportswashing lautet der Fachausdruck für das Phänomen, ein politisches System weißzuwaschen, das sich gegen Kritik immunisiert hat, zum Beispiel weil die Zustände für Arbeiter*innen auf Baustellen menschenunwürdig sind. Da kommt dann das positive Image gerade recht, das dank eingekaufter Sportevents medial vermittelt wird.

Wenn eine WM oder ein anderes großes Turnier ansteht, dürfen ausnahmsweise Menschen ins Land, für die ansons­ten ein Bann gilt. Bis zum Jahr 2008 dauerte es, bis mit der Tennisspielerin Shahar Peer erstmals eine israelische Sportlerin ein Visum für Katar erhielt. Dafür wollten die Offiziellen anschließend sogar noch gelobt werden.

Für Menschen aus der LGBTIQ+-Community ist es noch schwieriger. Homo­sexuelle Handlungen unterliegen nach katarischem Recht strafrechtlicher Verfolgung, wie auch jede Form von nichtehelichem Geschlechtsverkehr. Dass bislang keine Festnahmen queerer Menschen in Katar bekannt wurden, geht beinahe schon als Akt der Toleranz durch. Ein ­hoher Regierungsbeamter, Abdul Aziz Abdullah Al-Ansari, hatte noch im April 2022 gewarnt, Besucher*innen der Fußball-WM sollten besser keine Regenbogenfahnen zeigen.

Immer mehr Sport-Events

Die Verhältnisse in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Saudi-Arabien sind mit Katar vergleichbar. Die Veranstalter des Dubai- und des Abu-Dhabi-Marathon in den VAE investieren ungeheure Summen, um die bislang für Weltklasseläufer*innen attraktivsten Stadtmarathons abzulösen. Damit die Athlet*innen nicht kollabieren, finden die Events im Dezember und Januar statt. Bei Außentemperaturen von 25 Grad ist ein Marathon möglich. Ein Triathlon-Ironman-Wettbewerb findet in den VAE im März bei einer durchschnittlichen Temperatur von 29 Grad statt. Die Emirate wollen von den TV-Bildern profitieren, die schwitzende Athlet*innen in der Wüste oder vor Stränden zeigen.

Seit 2016 setzt auch Saudi-Arabien auf Sportswashing. 2019 spielten dort die Fußballmächte Brasilien und Argentinien gegeneinander, seit einigen Jahren wird dort auch das italienische Fußball-Supercup-Finale ausgetragen. Als das Land 2017 die Blitzschach-WM veranstaltete, regte sich Widerstand, vor allem bei den Sportlerinnen. Die Veranstalter verlangten zunächst von den besten Spielerinnen der Welt, dass sie sich verschleiert ans Brett setzen. Letztlich kam es zum "Kompromiss", dass sie in der Halle, in der gespielt wurde, ihr Kopftuch ablegen durften.

Am Ende zählen die medial vermittelten Bilder. Und wenn junge athletische Menschen in bunten Kleidern Sport treiben, ist vieles wieder vergessen.

Martin Krauß ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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