Amnesty Journal Belarus Polen 13. Dezember 2022

Aktiv an der Grenze

Ein geschlossener überdachter Grenzübergang an der Grenze zwischen Polen und Belarus, Betonklötze und Stacheldraht sind auf einer Straße aufgebau.

Der polnisch-belarussische Grenzübergang Kuźnica, der seit der Krise im November 2021 geschlossen ist.

Seit 2021 erleiden Flüchtende an der Grenze zwischen Belarus und Polen fast täglich eklatante Menschenrechtsverstöße. Die polnische Grupa Granica hilft, so gut sie kann.

Von Julia Eymer

Die Situation von Geflüchteten an der Grenze zwischen Polen und Belarus ist aus der Berichterstattung in den Medien weitgehend verschwunden, obwohl sich dort immer noch Tragödien abspielen. Im Sommer 2021 hatte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Flüchtenden aus aller Welt angeboten, über Belarus nach Polen und damit in die EU zu gelangen. Er wollte damit die EU-Mitgliedsstaaten unter Druck setzen, Sanktionen gegen Belarus zu lockern, die wegen des brutalen Vorgehens gegen Protestierende vor und nach der Präsidentschaftswahl 2020 verhängt worden waren.

Tausende Geflüchtete kamen daraufhin nach Belarus, die Mehrzahl aus dem Nahen Osten. Nach ihrer Ankunft strandeten sie jedoch an der Grenze zu Polenohne Obdach, Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung. Sie waren einerseits der Gewalt belarussischer Sicherheitskräfte ausgesetzt, die sie über die Grenze nach Polen drängten, erlebten aber auch Übergriffe des polnischen Grenzschutzes, einschließlich rechtswidriger und gewaltsamer Pushbacks nach Belarus.

Inhaftierung von Familien

Hunderte Menschen saßen monatelang in den Wäldern der Grenzregion fest, mindestens 20 starben im Winter an Unterkühlung. Die polnische Regierung errichtete einen etwa fünfeinhalb Meter hohen und 200 Kilometer langen Grenzzaun, um die Flüchtenden an der Einreise zu hindern. Bis heute patrouillieren etwa 2.000 polnische Soldaten entlang der Grenze. Wer es dennoch schafft, in Polen Asyl zu beantragen, wird bis zum Abschluss des Asylverfahrens inhaftiert – selbst Familien mit Kindern.

Menschen aus der Grenzregion, aber auch aus anderen Teilen Polens wollten diesen eklatanten Menschenrechtsverstößen nicht tatenlos zusehen und gründeten deshalb die Grupa Granica (Grenz-Gruppe) als informellen Zusammenschluss. Die Aktiven, darunter Rechtsanwält*innen, Journalist*innen, Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen, versorgen die Geflüchteten mit lebensnotwendigen Gütern und organisieren medizinische Hilfe. "Wir engagieren uns dabei ausschließlich im legalen Rahmen", berichtet ein Mitglied des Kommunikationsteams, das namentlich nicht genannt werden möchte.

Eine unbefestigte Straße führt über eine Waldlichtung, rechter Hand ein Stahlzaun, links ein weiterer Zaun und ein kleines Grenzhäuschen.

187 Kilometer lang, rund 366 Millionen Euro haben sie gekostet: Die neu errichteten Grenzanlagen zwischen Polen und Belarus (Kuźnica).

Es gab Fälle, in denen Verletzte direkt aus dem Krankenhaus nach Belarus zurückgedrängt wurden, teilweise ohne abgeschlossene Behandlung.

Mitglied des Kommunikationsteams Grupa Granica

Beim Überqueren der Grenzanlagen erleiden die Geflüchteten häufig schwere Verletzungen. Doch viele lehnen es ab, dass die Freiwilligen der Grupa Granica einen Krankenwagen rufen, weil sie befürchten, über die Grenze zurückgedrängt zu werden. "Diese Angst ist nicht unbegründet", sagt das Mitglied des Kommunikationsteams. "Es gab Fälle, in denen Verletzte direkt aus dem Krankenhaus nach Belarus zurückgedrängt wurden, teilweise ohne abgeschlossene Behandlung." Glücklicherweise sei mittlerweile die Nichtregierungsorganisation INTERSOS in der Grenzregion aktiv, die medizinische Unterstützung für Geflüchtete anbiete.

Die Grupa Granica beobachtet eine zunehmende Verrohung des polnischen Grenzschutzes und immer mehr physische und psychische Gewalt gegen Geflüchtete. Auch die psychische Belastung für die Freiwilligen ist wegen der desaströsen Situation hoch, und die ständige Militärpräsenz belastet die Bevölkerung im Grenzgebiet. Im Herbst 2022 kamen nach Angaben der Grupa Granica mindestens zwei Menschen im Grenzgebiet ums Leben. Die Gruppe befürchtet weitere Tote, auch wenn die polnische Regierung nicht von einer humanitären Krise und Menschenrechtsverletzungen an der Grenze sprechen möchte.

Die Autorin ist in der Amnesty-Kogruppe Belarus/Ukraine aktiv. Mehr Informationen: amnesty-belarus-ukraine.de

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