Amnesty Journal 25. Februar 2020

Wer stoppt, gewinnt

Die EU macht die Entwicklungshilfe für afrikanische Staaten zunehmend davon abhängig, dass diese die Migration kontrollieren. Die Ausgaben für Abschottungsmaßnahmen werden 2020 erhöht.

Von Christian Jakob

Es ist keineswegs neu, dass Entwicklungshilfe an Gegenleistungen geknüpft wird. Doch das Ausmaß der Bedingungen, die jetzt geplant sind, hat es in sich: Europäisches Parlament und EU-Kommission verhandeln derzeit über das Budget für die Haushaltsperiode 2021 bis 2027. Für alle Maßnahmen, die dazu dienen, Flüchtlinge fernzuhalten, sind enorme Summen angedacht.

Der alte Haushalt sei zu unflexibel für "Herausforderungen wie die Migrations- und Flüchtlingskrise im Jahr 2015" gewesen, hatte der Vorgänger von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Jean-Claude Juncker, kurz vor dem Ende seiner Amtszeit im vergangenen Herbst erklärt. Die neuen Budgetpläne seien eine "ehrliche Antwort auf die Wirklichkeiten unserer Zeit".

EU-Entwicklungsfond EDF wird verschwinden

Diese Politik folgt im Wesentlichen der Logik, die die EU bereits seit 2015 mit dem Aktionsplan von Valletta verfolgt. Er sieht vor, Gelder aus dem EU-Entwicklungsetat im sogenannten EU-Nothilfefonds für Afrika zu bündeln und für Projekte auszugegeben, die mittelbar oder unmittelbar der Migrationskontrolle dienen – nach dem Prinzip "more for more": Afrikanische Staaten, die bei Abschiebungen kooperieren, bekommen demnach mehr Entwicklungshilfe. Grundlage für Entscheidungen sind die politischen Bedürfnisse der EU und nicht entwicklungspolitische Erwägungen, die den Empfängerländern dienten.

Für Entwicklungshilfe ist künftig gar kein eigenes Budget mehr vorgesehen – der EU-Entwicklungsfonds EDF verschwindet. Er wird, wie andere Einzelbudgets auch, in das "außenpolitische Instrument" für "Nachbarschaft, Entwicklung und Internationale Kooperation" (NDICI) integriert, das mit bis zu 93 Milliarden Euro ausgestattet werden soll. Rund ein Zehntel davon dürfte Experten zufolge für Migrationsmanagement bestimmt sein.

Was das bedeutet, zeigt die Zusammenarbeit der EU mit der libyschen Küstenwache. Die erhielt im Oktober 2019 zehn neue Patrouillenboote aus Italien. Ausgeliefert wurden sie just an dem Tag, an dem ein zwei Jahre zuvor zwischen Tripolis und Rom geschlossenes Memorandum verlängert wurde. Die menschenrechtlichen Folgen dieser Vereinbarung sind höchst problematisch: Allein im Monat der Übergabe brachten Mitarbeiter der Küstenwache 1.113 Menschen zurück in libysche Lager, um die 40.000 sind es seit Verabschiedung des Memorandums 2017.

Grenzschutzfonds werden aufgestockt

Das EU-Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und Internationale Kooperation soll solche Hilfen außerhalb der EU künftig noch unkomplizierter regeln – und eine Finanzierung direkt aus Brüssel ermöglichen. Mit Geldern für Entwicklungshilfe wäre das nicht erlaubt gewesen. In einer Analyse der Hilfs­organisation Brot für die Welt heißt es, "dass Entwicklungsgelder in Zukunft weniger den ärmsten und bedürftigsten Ländern zugutekommen als viel mehr strategisch relevanten Ländern, die bereit sind, an der Migrationsabwehr mitzuwirken".

Darüber hinaus plant die EU, zwei bereits bestehende Grenzschutzfonds zusammenzufassen und deren Budget von bislang 2,7 auf 8,1 Milliarden Euro aufzustocken. Schon jetzt werden aus diesen Haushalten Kameras, Radaranlagen, Ferngläser und Drohnen bezahlt – allerdings für die Grenzschützer der EU-Staaten selbst. Künftig sollen auch Drittstaaten von diesen Grenzschutzfonds profitieren.

Eine EU-Milliarde für Niger

Ein Vorbild in Sachen Migrationsmanagement ist aus EU-Sicht Niger. Dort gelang es Polizei und Militär in den vergangenen Jahren, die Hauptroute durch die Sahara von der Wüstenstadt Agadez nach Libyen weitgehend zu kappen. 2016 waren noch rund 300.000 Menschen auf diesem Weg nach Libyen gelangt. Im Gegenzug erhielt die Regierung in Niamey seither mehr als eine Milliarde Euro an Budget- und Entwicklungshilfe. Allein an das Innen-, Justiz- und Verteidigungsministerium flossen 80 Millionen Euro. Das neue EU-Budget sieht vor, solche an Migrationsabwehr gekoppelten Ausgaben künftig noch einfacher zu machen.

Was das für die Menschen bedeutet, die die gefährliche Reise Richtung Mittelmeerküste auf sich nehmen, zeigen Einschätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks. Der UNHCR-Beauftragte für das zentrale Mittelmeer, Vincent Cochetel, schätzt, dass "vermutlich mindestens doppelt so viele Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer sterben wie im Mittelmeer selbst". Die Zahl der Todesopfer könne aber "auch viel höher sein".

Neben dem "außenpolitischen Instrument" und dem Grenzschutzfonds gibt es noch einen dritten Haushaltstopf, der helfen soll, Europa abzuschotten: das Budget für die EU-Grenzschutz­agentur Frontex, die mittlerweile als "Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache" firmiert. Auf 333 Millionen Euro belief sich ihr Etat 2019 nach eigenen Angaben – künftig sollen ihr nach dem Willen der EU-Kommission deutlich über eine Milliarde Euro zur Verfügung stehen. "Das erhöht natürlich die Fähigkeit, außerhalb der EU agieren zu können", sagt Jane Kilpatrick von der Londoner NGO Statewatch.

Frontex will Grenzschützer einstellen

Albanien ist der erste Nicht-EU-Staat, in dem Frontex seit 2019 tätig ist; 66 Grenzschützer aus zwölf EU-Staaten waren dort zuletzt im Einsatz, darunter elf Bundespolizisten, allesamt ausgestattet mit hoheitlichen Befugnissen. Im Oktober vergangenen Jahres wurde ein vergleichbares Abkommen mit Montenegro unterzeichnet; weitere Verhandlungen laufen mit Nordmazedonien, Serbien sowie Bosnien und Herzegowina. Die ex-jugoslawischen Teilrepubliken dienen vor allem als Testballon: Bis 2027 will Frontex 10.000 eigene Grenzschützer einstellen.

Zudem soll die Grenzschutzagentur künftig mehr Geld für Abschiebungen mit eigenen Charterflügen ausgeben dürfen. Nach Statewatch-Recherchen wird der Etat dafür von derzeit etwa 40 Millionen Euro im Jahr auf rund 250 Millionen erhöht. Damit könnten etwa 50.000 Abschiebungen pro Jahr finanziert werden.

Ausreisequote soll erhöht werden

Damit die Mittel auch in Anspruch genommen werden, müssen alle EU-Staaten künftig die Daten Ausreisepflichtiger automatisiert an Frontex übermitteln. Bislang erfolgte das nur auf freiwilliger Basis. Ziel der Maßnahme ist die Erhöhung der sogenannten Ausreisequote, die nach Angaben der EU-Kommission zuletzt bei etwa 36 Prozent lag. Das heißt, dass von 100 Ausreisepflichtigen etwa jeder Dritte innerhalb eines Jahres die EU verließ – selten auf freiwilliger Basis.

Die Haushaltsverhandlungen in Brüssel könnten sich noch bis Sommer hinziehen. Am Ende wird ein zweistelliger Milliardenbetrag stehen, um Unerwünschte fernzuhalten. Ausgaben der einzelnen Mitgliedstaaten sind da noch nicht eingerechnet.

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