Amnesty Journal 15. April 2022

"Dieses Buch ist eine Warnung"

Der Diktator Saddam Hussein steht zusammen mit Mitgliedern seiner Familie an einem Buffet, das draußen aufgebaut ist, und bedient sich.

Pol Pot, Idi Amin, Saddam Hussein, Enver Hoxha und Fidel Castro: In seinem Buch "Wie man einen Diktator satt bekommt" zeigt Witold Szabłowski, wie viel Essen über die Politik oder das Regime in einem Land aussagt.

Interview: Tanja Dückers

Wie kamen Sie darauf, die Köche von Diktatoren zu interviewen?

Bevor ich Journalist wurde, war ich Koch in Kopenhagen. Ich liebte es, in der Küche zu sein. Dann zog ich zurück nach Polen und fing bei einer großen Zeitung an. Aber ich hatte immer die Köche in Erinnerung, wie sie ihre Geschichten erzählen. Ich habe viele Bücher geschrieben, aber immer nach einer guten Geschichte aus der Küche gesucht, die sich mit meinen anderen Interessengebieten – Geschichte, Politik und Soziales –verbindet.

Warum genau diese Köche?

Ich wollte mich auf Menschen konzentrieren, denen ich begegnen kann – es gibt also keinen Chefkoch von Hitler oder Stalin – und die mir eine Art kulinarischen Workshop bieten können. Es sollte ein ­kulinarisches Porträt des 20. und 21. Jahrhunderts aus verschiedenen Kontinenten werden und zugleich ein Porträt der Tyrannei. Gefunden habe ich zwölf Köche. Irgendwann musste ich mir sagen: Du hast genug. Sie sind keine Apostel. Du brauchst nicht zwölf von ihnen. Mein Ziel war ein Panorama und ein Blick auf die Anatomie der Tyrannei. Die Gegenwart ist nämlich leider eine gute Zeit für Diktatoren: diese Zeit, in der wir uns nicht sicher sind, was als Nächstes passiert, ob Klimawandel, Coronavirus oder der allgemeine Mangel an Sicherheit. Dieses Buch ist also eine Art Warnung.

War es schwierig, zu den Köchen zu reisen?

Das schwierigste Land war der Irak, weil es so kompliziert war, ein Visum zu bekommen. Ich musste einen kleinen Trick anwenden. Damals besuchte der irakische Premierminister gerade Warschau. Also bewarb ich mich um ein Interview mit ihm. Er sprach viel über die Förderung von Investitionen. Ich dachte: Das ist großartig, jemand sollte in den Irak reisen und darüber schreiben. Die Gegenleistung für mein irakisches Visum war also, dass ich ein paar Tage lang verschiedene irakische Firmen besuchen und einen Artikel schreiben musste über die Möglichkeiten, im Irak Geschäfte zu machen. Danach hatte ich Zeit: Ich habe zwei Wochen mit dem letzten Koch von Saddam Hussein verbracht.

Haben die Köche der Diktatoren auch für Sie gekocht?

Ja, das war auch mein Plan. Die Küche ist der natürliche Lebensraum eines Kochs: In der Küche ist ein Koch wie ein Wal im Ozean. Zu allem, was er anfasst, gibt es eine Geschichte zu erzählen. Wenn er also den Salzstreuer berührt, gibt es eine Geschichte über Idi Amin, dessen Lieblingsessen immer versalzen sein musste. Der Koch berührt den Pfeffer, und Sie hören eine andere Geschichte. Wenn er Fleisch anfasst, redet er darüber, woher das Fleisch für die Präsidentenpaläste kam. Zudem sollte dieses Buch auch ein kulinarischer Workshop sein; ich bin ja selbst an der Materie interessiert. Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der die Gelegenheit hatte, mit den Chefköchen von fünf verschie­denen Diktatoren einen kulinarischen Workshop abzuhalten.

Was hat Sie an den kulinarischen Vorlieben der Diktatoren überrascht?

Ich war überrascht, wie einfach ihr Essen war. Wenn Sie heute in ein Mittelklasserestaurant gehen, werden Sie wahrscheinlich viel besser essen. Die meisten Menschen lieben das Essen, das sie als Kind gegessen haben. Früher oder später vermisst man die Gerichte seiner Mutter. Und die Diktatoren waren keine reichen Jungs. Sie stammten nicht aus noblen Familien. Die Ausnahme war Fidel Castro, dessen Vater Großgrundbesitzer war. Die Diktatoren mochten also keine ausgefallene Küche. Mein nächstes Buch wird Russland aus der Küchenperspektive betrachten: Auch Leonid Breschnew stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Im Kreml bekam er ständig Kaviar und andere Luxusspeisen serviert. Nach den Empfängen und Partys hat er in seiner Privatwohnung im Pyjama nach seinem Koch gerufen, damit der ihm Bratkartoffeln macht.

Auch Leonid Breschnew stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Im Kreml bekam er ständig Kaviar und andere Luxusspeisen serviert. Nach den Empfängen und Partys hat er in seiner Privatwohnung im Pyjama nach seinem Koch gerufen, damit der ihm Bratkartoffeln macht.

Hat sich Ihr Blick auf einen der ­Diktatoren durch Ihre Recherchen verändert?

Ich empfinde nach den Gesprächen mit seinem Koch durchaus viel Sympathie für Castro. Das heißt nicht, dass ich alle seine Ansichten teile. Aber ich denke, dass er die Welt schon zum Besseren verändern wollte. Manchmal tat er dies auf verrückte oder merkwürdige Weise, aber im Allgemeinen mit guten Absichten.

Sagen die Essgewohnheiten der Diktatoren etwas über ihr Regime aus?

Auf jeden Fall. Diktatoren lügen eigentlich alle anderen an: ihre Bürgerinnen und Bürger, ihre Generäle, ihre Berater, ihre Minister. Sie betrügen ihre Ehefrauen und so weiter. Aber es gibt zwei Menschen, die sie nicht anlügen können: ihren Arzt – denn er sieht zum Beispiel ihre Bluttests – und ihren Koch. Pol Pot hat das Nationalgericht seines Landes abgelehnt und sich stattdessen thailändische Gerichte gewünscht: Pol Pot – ein Heuchler, der die nationale Revolution blutrünstig durchführte, der die Leute zwang, stolze Khmer zu sein, und der nicht einmal das Essen seines eigenen Landes mochte. Oder Saddam Hussein: Er hatte die Vorstellung, dass ein Präsident wie ein Vater für seine Kinder kochen sollte. Wenn er also im Krieg gegen den Iran an die Front fuhr, musste der Koch dort so tun, als ob Saddam selbst das Essen für die Soldaten gekocht hätte. Der Reis wurde vorab halb, das Huhn fertig gekocht. Das Einzige, was Saddam tun musste, war, den Reis gar zu kochen, zu würzen und zu servieren. Doch jedes Mal hat er es irgendwie verpatzt. Für mich ist das symbolisch: Da gibt es ein einfaches Gericht, das man nicht vermasseln kann. Und da gibt es ein gutes, fruchtbares Land, das zudem im Besitz von Ölquellen ist und reich sein könnte. Aber er hat es kaputt gemacht und zwar komplett. Durch die Küchentür sieht man ein bisschen die wahren Gesichter dieser Menschen.

Taugt die Esskultur als Kompass für ein Land oder eine Epoche?

Ja. Wenn man beobachtet, was die Leute essen, kann man eine Menge über die sozialen und politischen Bedingungen und Veränderungen in einem Land sagen. Die großen Veränderungen in Polen, der Fall des Kommunismus und der Berliner Mauer begannen, wenn man so will, mit dem ersten Massenprotest in einer polnischen Fabrik – die Preise in der Kantine waren stark gestiegen. Oft fangen die Leute an zu protestieren, wenn sie sich das Essen nicht mehr leisten können, das sie früher gegessen haben.

Wie leben die Köche der Diktatoren heute mit ihrer Vergangenheit?

Es ist eine Mischung aus Traumatisierung und Stolz. Für einen Diktator zu kochen, ist wie auf einem Minenfeld zu laufen. Ein falscher Schritt, und du könntest tot sein. Der Chefkoch von Enver Hoxha in Albanien übernahm den Posten, nachdem sein Vorgänger ermordet worden war. Der war beschuldigt worden, Hoxha vergiften zu wollen; er wurde ohne Verhandlung, einfach so, aus der Küche zum Erschießungskommando in den Wald geschickt. Sein Nachfolger sagte mir: Jeden Tag, wenn er zur Arbeit ging, dachte er, dies sei vielleicht das letzte Mal, dass er seine Frau und Kinder sehe. Er hat eine posttraumatische Belastungsstörung, ist zugleich aber auch stolz. Er stammt aus einer armen Familie und hatte es als junger, talentierter Koch an die Spitze der Macht geschafft.

Tanja Dückers ist Autorin und Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

HINTERGRUND

Zum Autor: Witold Szablowski

Arbeitete früher als Koch in Kopenhagen, bevor er  mit 25 Jahren anfing, als Reporter zu arbeiten. Für seine Reportagen wurde er u. a. mit dem Journalistenpreis des Europäischen Parlaments, dem Ryszard-Kapuscinski-Preis und dem englischen PEN-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Warschau.

Zum Buch

Wie man einen Diktator satt ­bekommt. Aus dem Polnischen von Paulina Schulz-Gruner. ­Katapult, Greifswald 2021, 320 Seiten, 24 Euro.

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