Amnesty Journal Jemen 01. Februar 2019

"Frieden im Jemen ist möglich"

Eine Frau mit rotem Kopftuch, das weiß gepunktet ist, steht an einem Fenster

Lasst sich nicht einschüchtern. Radhya al-Mutawakel im Januar 2019 in Berlin.

Radhya al-Mutawakel ist Direktorin der jemenitischen Menschenrechtsorganisation Mwatana.

Interview: Markus Bickel

Wie stehen die Chancen auf Frieden im Jemen Anfang 2019?

So gut wie seit Beginn des Kriegs nicht. In den zwei Monaten nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi ist es der internationalen Gemeinschaft gelungen, alle Konfliktparteien in Schweden an einen Tisch zu bekommen. Und das, obwohl Großbritannien, Frankreich und die USA jahrelang behauptet haben, es sei nicht möglich, Huthis und Saudis zu ­Gesprächen zu bewegen. Aber noch ist es nur eine schwache Chance. Wenn wir sie nicht ergreifen, fangen wir wieder von vorne an. Der Druck auf die Kriegsparteien muss unbedingt ­aufrechterhalten bleiben, denn sollten die Verhandlungen scheitern, würde der Krieg in ganz neuer Intensität wieder ­aufflammen. Frieden im Jemen ist immer möglich, aber seit 2015 war er noch nie in so greifbarer Nähe.

Bei den Verhandlungen in Schweden ist es nicht gelungen, die Öffnung des Flughafens von Sanaa zu erreichen.

Seitdem die Saudis den Flughafen 2016 schlossen, sind alle Versuche, ihn wieder zu öffnen, gescheitert – leider auch in Schweden. Keine der Konfliktparteien kümmert sich um das Schicksal der Zivilisten in diesem Krieg; sie reagieren nur auf Druck. Deshalb setze ich auf eine zweite Verhandlungsrunde.

Was bedeutet der geschlossene Flughafen für die Bewohner von Sanaa und Umgebung?

Mit dem Auto braucht man bis zum nächsten Flughafen in Aden zehn Stunden, bis Seiyun sogar 15. Und mit dem Bus dauert es noch viel länger. Besonders kranke Menschen, die diese Reisen nicht auf sich nehmen können, trifft das schwer. Bei Mwa­tana haben wir viele Fälle von Menschen dokumentiert, die nur gestorben sind, weil sie nicht reisen konnten, um medizinische Versorgung zu bekommen. Aber auch jene, die fürchten, durchsucht und an einem der unzähligen Checkpoints festgenommen zu werden, sind von der Schließung betroffen.

Hält der Waffenstillstand in der Hafenstadt Hodeida?

Ja, endlich können die Menschen dort wieder durchatmen. Ich hoffe nur, dass das so bleibt, und die Stadt bald wieder unter zivile Kontrolle kommt. Hodeida liegt in einem der ärmsten ­Regierungsbezirke im Jemen – und in einem der bevölkerungsreichsten. Über den Hafen kommen 90 Prozent der Lebensmittel und Hilfslieferungen ins Land. Seit Kriegsbeginn hat sich die Lage hier stetig verschlechtert; die wenigsten Bewohner hatten genug Geld, um sich eine Flucht leisten zu können.

Ihre Organisation hat Menschenrechtsverletzungen auch in Hodeida dokumentiert. Wie ist das unter diesen Bedingungen möglich?

Es ist sehr schwierig geworden, vor allem wegen der Sicherheitslage. Zuletzt wurde einer unserer Mitarbeiter entführt und kam erst nach 45 Tagen wieder frei. Auch mein Mann und ich wurden am Flughafen von Seiyun stundenlang festgehalten – auf Befehl saudischer Offiziere, denen Mwatana offenbar ein Dorn im Auge ist, weil wir unsere Untersuchungen ungeachtet des Kriegs fortführen. Zwar ist es schwer, an detaillierte Informationen heranzukommen, doch wir haben weiter unsere Quellen.

Ein Grund, weshalb der Krieg im Jemen nun bereits seit fast vier Jahren andauert, ist das schwache Mandat der UN-Vermittler. Wie beurteilen Sie den neuen Gesandten Martin Griffiths?

Er ist gut, er ist klar, er hat Erfahrung. Griffiths hat es geschafft, dass alle Parteien ihm vertrauen. Ich hoffe, dass die internationale Gemeinschaft ihn weiterhin unterstützt. Denn bislang interpretiert jede Seite die Vereinbarungen von Schweden auf ihre Weise.

Im Dezember einigte sich der UN-Sicherheitsrat auf einen ­Waffenstillstand für Hodeida, nicht jedoch auf eine Formulierung, die Rechenschaftspflicht für Kriegsverbrechen vorsieht. ­Warum nicht?

Die Kriegsparteien verstoßen gegen das Völkerrecht, weil sie wissen, dass sie ungestraft davonkommen. Über Jahre hinweg haben die Vetomächte Frankreich, USA und Großbritannien keinerlei Signale gesendet, um Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate zu stoppen. Im Gegenteil. Menschenrechtsorganisationen wie Mwatana haben viele Risiken in Kauf genommen, um Verstöße zu dokumentieren, und mussten feststellen, dass die Wahrheit nichts zählt – sondern Waffenhandel und politische Beziehungen. Gäbe es den entsprechenden politischen Willen, hätte dieser Krieg längst gestoppt ­werden können.

Gemeinsam mit italienischen Menschenrechtsorganisationen und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin haben Sie in Rom Anzeige gegen RWM Italia eingereicht, eine Tochterfirma des größten deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall. Worum geht es in dem Fall?

Im Oktober 2016 schlug eine Bombe im Dorf Deir al-Hajari im Regierungsbezirk Hodeida ein. Bei dem Angriff starb eine sechsköpfige Familie, darunter eine schwangere Frau und ihre vier Kinder. Wir fanden am Tatort eine Aufhängeöse, mit der die Bombe am Flugzeug festgemacht wird. Wir konnten beweisen, dass diese in Italien hergestellt wurde. Inzwischen sind in Rom die Ermittlungen eröffnet worden, und wir haben uns zum Ziel gesetzt, weitere Anzeigen zu erstatten, nicht nur im Waffengeschäft. Denn in unseren Augen ist Rechenschaftspflicht ein Weg zum Frieden: Wenn Kriegsverbrecher damit rechnen müssen, vor Gericht zu landen, achten sie eher auf die Einhaltung des ­humanitären internationalen Rechts.

Wie erklären Sie sich, dass sich die Welt für das Leid in Ihrem Land so wenig interessiert?

Der Krieg im Jemen ist kein vergessener, sondern ein ignorierter Krieg. Ein Grund sind die Profite aus dem internationalen Waffenhandel: Großbritannien, die USA und Frankreich unterstützen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate deshalb blind. Das hat sich nach der Ermordung Khashoggis ­etwas geändert: Plötzlich reagierten die Saudis auf Druck empfindlich, was die jüngsten Durchbrüche im Jemen erst möglich gemacht hat. Diese Chance muss genutzt werden.

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