Amnesty Journal Hongkong 19. August 2020

Wenn Demokratie ausfällt

Polizisten mit Atemschutzmasken laufen durch eine Straße.

Die Parlamentswahl in Hongkong ist verschoben worden – offiziell wegen der Covid-19-Pandemie. Glaubwürdig ist das nicht.

Von Felix Lill

Demokratie fällt jetzt aus. Das ist die Nachricht, die man in Hongkong seit Juli immer wieder hört – in verschiedenen Versionen und mit unterschiedlichen Rechtfertigungen. Zuletzt wurde Ende Juli die Corona-Pandemie dafür verantwortlich gemacht. Der Stadtstaat mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern zählte zum damaligen Zeitpunkt rund 3.200 Infektionsfälle. Über eineinhalb Wochen hatte man täglich mehr als 100 Neuinfektionen verbucht.

Regierungschefin Carrie Lam erklärte, dass die im September anstehende Wahl des Stadtparlaments um ein Jahr verschoben werde. "Diese Verschiebung wurde ausschließlich aus gesundheitspolitischen Erwägungen getroffen", sagte Lam, "es gab keine politischen Erwägungen."

Weil es schwerfällt, diesen Worten Glauben zu schenken, wird in Hongkong seit Wochen darüber gestritten. Hat die Regierung den Notstand genutzt, um damit die Demokratie noch ein bisschen weiter auszuhebeln? Im Kontext der vergangenen Wochen deutet jedenfalls vieles darauf hin.

Geschwächte Autonomie

Seit Anfang Juli gilt in Hongkong das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz, das nicht etwa vom Hongkonger Stadtparlament verabschiedet wurde, sondern vom Nationalen Volkskongress in Peking. Das mit der Übergabe Hongkongs an China 1997 vereinbarte Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" wird von Peking seit Jahren geschwächt.

Instagram-Post über das neue "Sicherheitsgesetz" in Hongkong

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Mehrmals wurden Gesetze ausgearbeitet, die die Autonomie Hongkongs untergraben und den Stadtstaat stärker an das chinesische Recht binden sollten. "Wir sind von der grundsätzlichen Richtung der Entwicklungen nicht mehr überrascht", sagt Isaac Cheng, der bis vor kurzem stellvertretender Vorsitzender der prodemokratischen Organisation Demosisto war. Demosisto ist mitverantwortlich dafür, dass in den vergangenen Jahren immer wieder Hunderttausende Menschen auf die Straße gingen, um gegen die Gesetze aus Peking zu protestieren.

Mit der Verabschiedung des Nationalen Sicherheitsgesetzes haben sich Gruppen wie Demosisto zumindest formell aufgelöst. "Von der Dreistigkeit aus Peking sind wir allerdings schon überrascht", sagt Cheng. Denn das vage formulierte Gesetz erklärt faktisch jeden Dissens gegen das Pekinger Ein-Parteien-System zu einem illegalen Vorgang. Es drohen eine Auslieferung an die chinesische Justiz und letztlich langjährige Gefängnisstrafen. An den ersten Tagen nach der Verabschiedung gab es bei den Straßenprotesten gleich mehrere Festnahmen.

Wir sind von der grundsätzlichen Richtung der Entwicklungen nicht mehr überrascht, von der Dreistigkeit aus Peking allerdings schon.

Isaac
Cheng
Ehemaliger stellvertretender Vorsitzender von Demosisto



Mandate aberkannt

"Mit der Verschiebung der Wahl haben sich die pekingfreundlichen Politikerinnen und Politiker auch noch das Mandat verlängert", sagt Tracy Cheng, Vizepräsidentin der Studierendenschaft der Universität Hongkong. Vor der Verschiebung deutete einiges darauf hin, dass prodemokratische Kandidaten mehrere Plätze im Parlament gewinnen würden – obwohl China einigen der prominentesten Köpfe die Kandidatur verbot. In früheren Jahren waren anderen prodemokratischen Abgeordneten bereits Mandate aberkannt worden.

Die Corona-Pandemie scheint daher als Ausrede zu dienen, die Wahl ausfallen zu lassen. Zumal andernorts bewiesen wurde, dass Wahlen auch in diesen Zeiten möglich sind. So wählte Südkorea im April einen Teil seines Parlaments, obwohl es zum damaligen Zeitpunkt ähnlich viele Infektionsfälle hatte wie Hongkong jetzt. In den Wahllokalen wurde kräftig desinfiziert, Wählerinnen und Wähler mussten Masken tragen, und es waren nur bestimmte Anfahrtswege erlaubt. Dort wollte man die Wahl abhalten und fand deshalb eine Lösung.

Felix Lill ist freier Südostasien-Korrespondent. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.

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