Amnesty Journal Guatemala 11. März 2022

Die Rechte der Q’eqchi’

Ein Mann mit Schirmmütze sitzt auf einem Motorboot und steuert über einen See, im Hintergrund erheben sich Berge.

Nie gefragt, ob er dem Bergbau zustimmt: Der Fischer Eduardo Bin Poou (El Estor, Januar 2022).

Der Abbau und die Verarbeitung von Nickel rufen im Osten Guatemalas vielfach Protest hervor. Im Zentrum der Kritik steht dabei auch eine Investmentgruppe aus der Schweiz.

Aus El Estor von Wolf-Dieter Vogel

Die Wolken hängen tief, einige der Berge sind bereits nicht mehr zu sehen. Jeden Moment kann sich ein tropischer Regen über den Izabal-See ergießen. Fischer Eduardo Bin Poou lässt dennoch sein Boot langsam durch das Wasser gleiten und zeigt auf eine grau-schwarze Fläche in Ufernähe zwischen rauchenden Schornsteinen, Industrierohren und Fabrikhallen. "In diesem Schlamm befindet sich Schwermetall", ­erklärt er. Wenn es viel regne, fließe der Dreck in den See. "Das Bergbauunternehmen hat keine Genehmigung, diesen Abfall zu lagern."

Für den 56-Jährigen ist der giftige Schlamm nur eines von vielen Problemen, die der Nickelabbau in seiner Heimatstadt El Estor im Osten Guatemalas verursacht hat. Er berichtet von seltsamen Blasen auf der Haut von Fischen und roten Ablagerungen auf der Wasseroberfläche. Vor allem aber stört den Fischer, der zur Bevölkerungsgruppe der Maya Q’eqchi’ gehört, dass seine Leute nie ­gefragt wurden, ob sie dem Bergbau ­zustimmen.

Indigene nicht befragt

Schließlich müssen Indigene gemäß der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation im Voraus, frei und informiert befragt werden, wenn auf ihrem Land Rohstoffe abgebaut werden sollen. Doch weder die Regierung noch das Unternehmen CGN, eine Tochterfirma der Schweizer Solway Investment Group, scherten sich darum. So sah es auch das guatemaltekische Verfassungsgericht, das im Juni 2020 entschied, das Fénix-Bergwerk müsse den Nickelabbau einstellen, solange die indigenen Einwohner_innen von El Estor nicht befragt worden seien.

Dennoch fuhren unentwegt Kipplader und LKWs über die Straße, die zu den Anlagen von CGN führt. Etwa sechs Kilometer von der Kleinstadt entfernt betreibt die Firma außer dem Bergwerk auch die Fabrik Pronico, in der aus dem Rohstoff Nickeleisen hergestellt wird. Dort hat Firmensprecher David Orellana sein Büro. "Wir haben uns immer an die rechtlichen Vorgaben gehalten", betont er. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts sei die Fénix-Mine geschlossen worden.

Doch das wollten Eduardo Bin Poou und andere nicht glauben. Zu oft schon wurden sie von den Betreibern des Bergwerks betrogen, in den Konflikten mit dem Unternehmen starben sogar Menschen. Um eine Umsetzung des Gerichtsbeschlusses zu erreichen, besetzten mehrere hundert Indigene im Oktober 2021 die Straße. 20 Tage lang ließen sie keinen LKW passieren, der Material für die CGN transportierte. "Alle anderen, also Taxis, Busse oder Privatwagen konnten weiterfahren", betont der Fischer.

Eine indigene Frau in Rock und Bluse steht vor einem Haus hinter einem Plastikstuhl, auf dem ein junger Mann mit Schirmmütze sitzt; es sind Mutter und Sohn; rechts beginnt eine Rasenfläche, links hängt eine Hängematte.

Ärger mit der Polizei: Angelica Choc, Sohn Luis. El Estor, Januar 2022

Dennoch lösten Polizisten und Soldaten die Blockade am 22. Oktober gewaltsam auf. "Es waren Spezialeinheiten, sie kamen mit Hubschraubern und sprühten Tränengas", berichtet Luis Ich Choc. Der 34-Jährige hatte sich ebenfalls an der Blockade beteiligt. "Die Behörden behaupten, dass vier Polizisten durch Schüsse verletzt worden seien, aber das waren nicht wir", sagt er. Ein paar Steine seien geflogen, ja, aber Schüsse? "Wir haben keine Waffen", erklärt Ich Choc, der zum Alten Rat gehört, dem Führungsgremium der indigenen Gemeinde.

Die Sicherheitskräfte hätten im Auftrag des Minenunternehmens agiert, kritisiert er. "Wie in einer Prozession haben die Polizisten jeden Lastwagen begleitet." Firmensprecher Orellana hält den Einsatz hingegen für gerechtfertigt: "Die für die Produktion notwendige Kohle war zu Ende gegangen. Eine Antwort des Staats war erforderlich."

Dieser Antwort folgten weitere Angriffe auf die Q’eqchi’. Die Regierung verhängte für 30 Tage den Ausnahmezustand, an jeder Ecke standen Polizist_innen und Soldaten. Die Sicherheitskräfte nahmen 40 Hausdurchsuchungen vor, auch bei Luis Ich Choc. Doch der war nicht da. "Seine schwangere Ehefrau war alleine zu Hause und erlitt einen schweren Schock, als die Soldaten ins Gebäude eindrangen", berichtet seine Mutter Angelica Choc. Angeblich waren die Sicherheitskräfte auf der Suche nach den Waffen, mit denen geschossen worden sein soll. Allerdings ohne Erfolg. "Die haben etwas gesucht, was sie uns anhängen können", meint Luis Ich Choc. 60 Personen wurden während dieser Tage vorübergehend festgenommen.

Abbau seit den 1970er Jahren

Auch Eduardo Bin Poou saß eine Nacht lang im Gefängnis. Während er mit seinem Boot über den Izabal-See fährt, sagt er: "Wer in Guatemala für seine Rechte einsteht, gilt als kriminell, während CGN unsere Rechte missachtet."

Luis Ich Choc tauchte ab, nachdem der Ausnahmezustand verhängt wurde. Vier Wochen lang schlug er sich mit anderen Verfolgten im Wald durch. "Manchmal hatten wir tagelang nichts zu essen", erzählt er. Seit ein paar Wochen ist er wieder in El Estor. Wie seine Eltern kämpft er für die Rechte der Q’eqchi’, obwohl das seinen Vater das Leben gekostet hat. 2009 griffen Angestellte des Sicherheitsdiens­tes von CGN Adolfo Ich und andere Bergbaugegner_innen mit Macheten und Waffen an. Adolfo Ich starb durch einen Schuss, andere wurden schwer verletzt. Im Januar 2021 verurteilte ein Gericht den ehemaligen CGN-Sicherheitschef wegen des Mordes.

Angelica Choc, die Frau des Ermordeten, musste an das Verbrechen denken, als im Oktober Soldaten und Polizisten das Haus ihres Sohnes stürmten. Der Konflikt um den Nickelabbau begleitet die 54-Jährige bereits seit ihrer Kindheit. Seit den 1970er Jahren wird das Metall nahe El Estor abgebaut. Damals tobte in Guatemala ein Bürgerkrieg, der mehr als 200.000 Menschen das Leben kostete.

Immer wieder starben Menschen bei Protesten gegen den Bergbau. 1978 richtete das CGN-Sicherheitspersonal ein Massaker unter den Indigenen an, die sich gegen die Mine wehrten. Die Firma gehörte damals noch einem kanadischen Unternehmen, bevor sie 2011 von der Solway ­Investment Group übernommen wurde.

Ein Bergwerk, Tagebau, aufgerissene Erde und Schlote, aus dem Dampf oder Rauch aufsteigen, im Hintergrund eine Seenlandschaft, Bäume ringsum.

Quelle des Streits: CGN-Bergwerk. El Estor, Januar 2022

Wir waren immer gegen die Mine, und CGN tut alles dafür, uns fertig zu machen.

Angelica
Choc
Aktivistin

"Wir waren immer gegen die Mine, und CGN tut alles dafür, uns fertig zu machen", sagt Angelica Choc. Doch sie räumt auch ein, dass nicht alle auf ihrer Seite stehen. "Viele sind dort beschäftigt und wollen ihren Arbeitsplatz nicht verlieren", sagt sie. Fragt man die Ladenbesitzerinnen in El Estor oder die Fischer am Ufer, ist die Meinung gespalten. Manche sind für, manche gegen die Firma.

Nach Angaben von David Orellana arbeiten bei Fénix und Pronico etwa 2.000 Menschen, 70 Prozent von ihnen stammen aus El Estor. Seit Anfang Januar 2022 baue Fénix wieder Nickel ab, da die vom Verfassungsgericht geforderte Befragung nun vom Energieministerium durchgeführt worden sei, sagt er. Tatsächlich fand während des Ausnahmezustands eine Konsultation statt. Luis Choc hält sie jedoch für eine Farce. "Sie fand unter Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sowie unter Präsenz von Polizei und Militär statt", kritisiert er. Zudem sei der Alte Rat der Q’eqchi’ nicht eingebunden worden. "Die Umfrage wurde bewusst von Leuten durchgeführt, die von der CGN ­bestochen wurden", ist er überzeugt.

Eduardo Bin Poou blickt nachdenklich aufs Wasser. "Die meisten hier leben vom Fischfang, was sollen unsere Enkelinnen und Enkel tun, wenn der See vergiftet ist?", fragt er sich. Der Bergbau bringe keinen Fortschritt, sagt er, während er das Ufer ansteuert. Von dort aus sind es nur wenige Meter zu seinem aus Bambus gezimmerten Haus. Er hofft, dass er bald zumindest wieder ohne Angst fischen kann.

Wolf-Dieter Vogel ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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