Amnesty Journal Griechenland 22. August 2022

Wie trinken Sie Ihren Kaffee? Mit Milch und voller Hoffnung!

Eine Frau mittleren Alters steht an einem Fenster neben einer anderen Frau, hält sich am Fensterrahmen fest mit der rechten Hand und lächelt; auf der anderen Seite des Fensters nimmt eine Frau Tüten entgegen, sie hat ein Kind dabei.

Wer in der griechischen Hauptstadt nicht weiter weiß, findet im Hope Café Zuflucht. Auch Flüchtende in Not können sich dort mit Lebensmitteln versorgen.

Aus Athen von Frauke Gans (Text) und Giorgos Moutafis (Fotos)

Gegen Abend wird sichtbar, dass die Armut zur Normalität gehört. Tagsüber sprüht Athen vor Lebenslust. Märkte, Cafés, Restaurants, die Universität: Tourist*innen flanieren durch das Stadtzentrum und die Athener*innen gehen ihren Alltagsgeschäften nach. Aber wenn in der Dämmerung die Lichter angehen, entstehen aus dem Nichts die Betten der Obdachlosen. Mitten auf den breiten Gehwegen der Shoppingmeile, vor den Glastüren der Bekleidungsketten, liegen plötzlich dicke Decken in etlichen Lagen übereinander. Das Partyvolk schlägt Haken um die Nachtquartiere.

Und inmitten dieses gut sichtbaren Gegensatzes von Konsum und Armut in der Millionenmetropole kommen täglich neue Flüchtende an, Einzelpersonen und Familien. Derzeit stellen nach Angaben des Ministeriums für Migration und Asyl jeden Monat mehr als 1.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl in Griechenland, mit Folgeanträgen sind es durchschnittlich fast 2.000. Und viele von ihnen kommen irgendwann nach Athen. Einige halten dann einen Zettel in der Hand, auf den Beamte in den Insel-Flüchtlingscamps Adressen in Athen geschrieben ­haben. Dort sollen sich die Neuen registrieren. Wenn sie ihr Ziel erreichen, sind die Wartezeiten lang, und häufig können staatliche Anlaufstellen und internationale Hilfsprogramme nicht alle erfassen. So manche*r steht anschließend auf der Straße und weiß nicht weiter. Wohin? Dann wird oft ein Name genannt, der ­Hilfe verspricht. Für Griech*innen. Für Flüchtende. Für alle, die in Athen in Not sind. Hope Café. Geh zum Hope Café.

Als Kaffeehaus gegen Fluchttristesse geplant

Eigentlich ist es mehr ein Lagerhaus für Alltagsgegenstände. Hinter einer Glasfront stapeln sich auf zwei Stock­werken Kisten und Pakete. Als die Britin Kerrie Moor das Hope Café im Jahr 2017 gründete, wollte sie allen, die sich bei ihr eindecken, einen Kaffee anbieten und mit ihnen sprechen. Griechische Kaffeehausatmosphäre gegen Fluchttristesse und Armutsfrust. Zuerst besorgte sie alles, was man für das kalte Nationalgetränk Frappé braucht. Dann übergab ihr eine deutsche Hilfsorganisation Spenden für eine vollautomatische Capuccino-Maschine, Besucher*innen bekamen fortan an der Theke ein heißes Gratisgetränk, während ein Päckchen mit Lebensmitteln, Decken, Kleidung oder Windeln geschnürt wurde, ebenfalls gratis. Aber irgendwann verkaufte Moor die Maschine, weil Geld für die Ladenmiete fehlte.

Ein Mann im T-Shirt mit Baseballkappe trägt einen Mundnasenschutz und steht an einem Fenster, durch das er gerade von drei Mitarbeiterinnen des Hope Cafés in Athen ein paar Artikel zur Versorgung erhalten hat, die er nun auf seinen Armen trägt.

130 Familien decken sich derzeit regelmäßig im Café mit Lebensmitteln ein. Und es kommen immer neue hinzu, auch wenn manche nur einmalig Unterstützung suchen. "Der Bedarf ist riesig." Unter den Griech*innen, die kommen, sind viele ältere Menschen: "Ihre Medikamente sind so teuer, dass die winzige Rente gerade diese Kosten deckt. Und staatliche Hilfen stehen ihnen nicht zur Verfügung. Einige weinen vor Erleichterung, wenn wir ihnen Lebensmittel geben."

Punktesystem für Dringlichkeit

Regelmäßig muss sie Menschen abweisen. "Viele flehen uns dann an: Wir sind doch genauso wichtig wie die anderen. Ich kann immer nur sagen: Das weiß ich doch. Ich habe aber nicht genug für alle." Um die zahlreichen Anfragen halbwegs fair abzuwickeln, hat sie ein Punktesystem für Dringlichkeit entwickelt. Neuankömmlinge in Athen erhalten Extrapunkte, da es ihnen an der Grundausstattung fehlt. Auch Schwangere und Familien mit Babys bekommen mehr Punkte als andere.

Die Corona-Pandemie hat auch rund um das Hope Café ihre Spuren hinterlassen: "Wir mussten in den vergangenen zwei Jahren alle Hilfsgüter durch das Fenster reichen", sagt Kerrie Moor. Damit entfiel eine Zeit lang auch das Kaffeetrinken. "Inzwischen kommen die meisten Anfragen über's Handy rein. Das ist nicht schlecht, weil das Gedränge vor unserem Laden regelmäßig Unmut bei den Nachbarn erregte. Zeitweise musste ich alles aus der Ferne koordinieren, weil ich wegen eines Lockdowns in England festsaß."

Drei Frauen stehen vor dem Eingang des Hope Cafés in Athen, eine Tür steht ofen, darüber hängt ein Schild mit der Aufschrift "Feeding Hope Int"; eine der Frauen schaut auf ihr Handy.

Selbst aus ihrer Heimat Worcester in Großbritannien arbeitete Moor weiter für ihr Café in Athen. "Mein Sohn zeigte mir, wie man ein digitales Spreadsheet erstellt, sodass ich die Sachspendeneingänge online verwalten und mit den Anfragen abgleichen kann. Geldspenden erfolgen immer über Paypal. Also rechne ich aus, was wir hinzukaufen können, die Volontärinnen und Volontäre in Athen besorgen die Sachen und schnüren die Päckchen nach den Vorgaben. Dann schicke ich den Familien eine Uhrzeit, wann sie ihre Sachen am Fenster abholen können."

Dieses Procedere könnte auch nach Corona noch wichtig bleiben. Denn ab und zu nimmt sich Kerrie Moor Auszeiten, so ist es mit ihrer Familie abgesprochen. Ihr Leben in Großbritannien hat sie aufgegeben. Vor der Gründung des Cafés fragte sie ihre erwachsenen Kinder und ihren Enkel, ob das in Ordnung sei, solange sie zu Geburtstagen und Feiertagen nach Hause käme. Die Familie war einverstanden. Und Moor hält Wort: Regelmäßig fliegt sie nach England und dann wieder zurück nach Griechenland. Wenn Verwandte und Freund*innen ihr etwas schenken, dann Geld für ihre Flugtickets. Manchmal reist sie auch nach England, um sich zu erholen, denn auf Dauer belastet sie die Not in Athen. "Einiges muss ich schlicht verdrängen, sonst könnte ich nicht weitermachen. Ich kann aber nicht aufhören. Inzwischen kommen so viele ins Hope Café."

Noch vor wenigen Jahren war die Situation in Athen und im Hafen von Piräus noch schwieriger als heute. Wer damals eine der Fähren im Hafen verließ, musste durch ein Meer aus Zelten laufen oder fahren. Es waren zu viele Menschen, um sie geordnet unterbringen zu können. Viele zogen weiter nach Nordeuropa, andere blieben in Athen.

Gestapelte Paletten von Babynahrung in Gläsern

Die griechische Anwältin Stavroula ­Giannoulatou arbeitet in der Hauptstadt, aber auch in Deutschland oder Dänemark. Denn dort wenden sich Hilfsorganisationen oder geflüchtete Familien an sie, die Unterstützung im Kontakt mit griechischen Behörden brauchen. "Die meisten Menschen aus Syrien kommen gut zurecht, nachdem sie ein Bleiberecht bekommen haben. Sie eröffnen Geschäfte und Restaurants. Aber viele aus Bangladesch oder Pakistan schlafen auf der Straße", sagt sie. Denn sie bekämen weder Bleiberecht noch Asyl. Und wer keine Adresse angeben kann, erhält auch keine staatliche Unterstützung. "Um die Leute von der Straße zu holen, sammelt die Polizei manchmal jeden ein, der nicht nachweisen kann, dass er sich in Griechenland aufhalten darf."

"Ich bin da reingestolpert"

Giannoulatou hat oft mit Menschen im Abschiebegefängnis Petrou Ralli zu tun. "Die Zustände im Gefängnis sind leider schlimm. Es sind so viele Menschen. Der Platz reicht nicht. Meine Klienten sind oft in keinem guten Zustand. Den Gefangenen wird der Pass abgenommen. Wer versichert, ins Herkunftsland zurückzukehren, bekommt eine amtliche Bescheinigung und darf das Gefängnis verlassen. Die Bescheinigung ermöglicht eine Ausreise aus Griechenland innerhalb von 30 Tagen ohne Pass. Aber die meisten gehen natürlich nicht." Ohne Pass kehren sie ins Athener Alltagsleben zurück. Und das Team des Hope Cafés um Kerrie Moor versorgt auch sie manchmal mit Mahlzeiten und mehr.

Wie ist Moor auf die Idee gekommen, in Athen ein Café der Hoffnung zu eröffnen? "Ich bin da reingestolpert. Wir haben im Westen der Türkei Urlaub gemacht. Eines Tages kam ein Flüchtlingsboot an. Die Camps für Flüchtende sind aber alle im Osten der Türkei. Also habe ich mitgeholfen, die Menschen zu versorgen." Später beschloss sie, nach Lesbos zu gehen, weil sie erfahren hatte, dass fast 60 Prozent ­aller Flüchtlingsboote, die aus der Türkei ablegen, auf dieser griechischen Insel ­landen. "Weil die Erstaufnahmestellen völlig überfüllt waren, schliefen etliche Geflüchtete in den Olivenhainen. Und froren so sehr, dass sie Holz zum Heizen suchten. Dabei zerstörten sie die Olivenbäume der Bauern, die wiederum am nächsten Tag verzweifelt waren. Es kamen Menschen an, deren Verwandte kurz zuvor ertrunken waren. Auch Kinder. Manchmal weinte man, ohne es zu merken." Moor blieb länger als viele andere frei­willige Helferinnen und Helfer.

Eine Frau mit einem Einkaufstrolley steht vor einem Fenster und steckt etwas in den Trolley; sie trägt einen Mundnasenschutz.

Als im Jahr 2016 die EU und die Türkei in einem Abkommen festhielten, dass die Türkei Flüchtende gegen Geld vom Weiterreisen abhält, änderte sich in den Camps auf Lesbos alles. Die griechische Regierung bat freiwillige Helfer*innen, die Erstaufnahmestellen zu verlassen. "Da ich meine Familie von Athen aus besser erreichen kann, beschloss ich, in der Hauptstadt etwas aufzubauen und das fortzusetzen, was ich auf Lesbos angefangen hatte", sagt Moor. Zunächst lebte sie mehr als ein halbes Jahr lang für 100 Euro im Monat in einem Zimmer ohne Wasser und Strom und schlief auf einer Yogamatte. Nun unterstützt sie jene, die unter ähnlichen Bedingungen leben.

Immer wieder wird eingebrochen

Madalena João besucht öfter das Hope Café. Sie ist 15 Jahre alt und floh neun ­Monate lang mit ihren Eltern und sechs Geschwistern aus der angolanischen Hauptstadt Luanda über die Türkei nach Griechenland. Ihre Familie hat eine behördliche Duldung, Bleibeberechtigung und eine Wohnung bekommen, in der Madalena jetzt neben ihrer Mutter auf dem Sofa sitzt und erzählt: "Meine Geschwister und ich gehen zur Schule. Und mein Vater hat Arbeit. Aber die Bezahlung ist schlecht. Deshalb schaffen wir es nicht ohne die Hilfspakete des Hope Cafés." Zuvor hätten sie auf Samos in einem Zeltlager gewohnt. "Dort war es überfüllt und schmutzig. Jetzt sind wir seit zwei Jahren in Athen, und es geht uns eigentlich gut. Wir sind sicher. Zu siebt in der Wohnung ist es zwar eng. Aber viele andere schlafen auf der Straße." Menschen wie Madalena seien der Grund, warum das Hope Café weitermache, sagt Kerrie Moor.

Ich mache weiter, bis man mich zwingt, aufzuhören.

Kerrie
Moor
Gründerin des Hope Cafés in Athen

Die Engländerin bildet das Zentrum des Teams. Außer ihr arbeiten dort häufig wechselnde Volontär*innen aus der ganzen Welt, die ihre Flüge und Unterkunft selbst bezahlen müssen. Spenden sind ausschließlich für das Café und seine Kund*innen bestimmt. Zum Glück gibt es vor Ort Einheimische und Geflüchtete, die regelmäßig und ohne Entlohnung mit anpacken. Vor der Corona-Pandemie kochten sie oft gemeinsam, um außer ­einem Kaffee auch warme Mahlzeiten ­anzubieten. Bald soll das wieder möglich sein. "Und im Obergeschoss würden wir auch gerne Englisch- und Griechischunterricht anbieten."

Aber es gibt auch Probleme. Immer wieder wird in das Café eingebrochen. Mal wurde der Laden verwüstet, mal wurde etwas gestohlen. Moor musste neue Schlösser und schließlich sogar Kameras installieren lassen. Manchmal schaut auch die Polizei vorbei und befragt die Mitarbeiter*innen, um sicherzustellen, dass sie für die Hilfsgüter kein Geld verlangen.

Währenddessen kommen weiterhin Flüchtende nach Griechenland. Im Schnitt sind es mehr als 750 pro Monat, die meistens auch im Land bleiben. Und so bleibt viel zu tun für Organisationen, die unterstützen wollen, und für freiwillige Helfer*innen wie Kerrie Moor: "Ich mache weiter, bis man mich zwingt, aufzuhören."

Sie kniet im Hope Café auf dem Boden und schnürt Pakete. Geht die Spendenbereitschaft mal zurück, plagen Moor Geldsorgen. Einige Sponsoren unterstützen sie seit Jahren mit einem monatlichen Obolus, andere helfen nur vorübergehend. "Im Moment zahlen drei Spender die Miete für das Café." Und vielleicht ist auch eines Tages wieder eine Capuccino-Maschine drin. Damit es auch mal wieder heißen Kaffee gibt im Hope Café.

Frauke Gans ist freie Journalistin und Übersetzerin. Giorgios Moutafis ist freier Fotograf. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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