Amnesty Journal Ecuador 22. Dezember 2021

Pioniere des grünen Goldes

Ein Fluss, hinter dem sich ein Stück ecuadorianischen Regenwalds erstreckt.

Ideal für Waldgärten und Kaffeeanbau: Die Amazonasregion Ecuadors.

Kaffee ist eines der wichtigsten Handelsprodukte auf dem Weltmarkt. Doch oft werden die Bohnen unter Wert und auch unter Missachtung der Menschenrechte produziert und exportiert. Das könnte sich ändern, denn kleine, engagierte Röstereien setzen auf Direktimport, faire Preise und Kooperation.

Von Knut Henkel (Text und Fotos)

Augusto Salazar ist ein zurückhaltender Mann. Beim Besuch im Waldgarten hält er sich im Hintergrund, denn dies ist der Boden seiner Kollegin Flor Shiguango. Der 53-Jährige mustert hier und da die Blätter der prächtigen, rund drei Meter großen Robusta-Sträucher, die neben Bananenstauden und Obstbäumen im Schatten hoher Urwaldriesen stehen. Salazar ist ein Pionier des Kaffeeanbaus in der Kleinstadt Archidona, die mitten in der Amazonasregion Ecuadors liegt. Hin und wieder nickt er zufrieden. Die zwei bis drei Hektar große "Chakra" von Flor Shiguango scheint ihm zu gefallen.

Chakras nennt die indigene Bevölkerungsgruppe der Kichwa ihre am Rande des Regenwaldes liegenden Gärten, die fast alles liefern, was die Familien benötigen. Rund 6.500 Menschen umfasst die lokale Kichwa-Gemeinde, die eigene Verwaltungsstrukturen aufgebaut hat und an deren Spitze seit 2019 erstmals eine Frau steht.

Zu dieser Gemeinde gehört auch die Kaffeegenossenschaft Waylla Kuri, und der kleine, drahtige Salazar ist ihr Präsident. Waylla Kuri bedeutet "grünes Gold" und bezieht sich nicht nur auf die dicken grünen und teilweise schon reifen roten Kaffeekirschen, die zuhauf an den Ästen hängen, sondern auf alle Produkte aus dem Waldgarten. Salazar produziert in seinem Teil pro Jahr rund 200 Kilogramm Robusta-Kaffee, und nicht viel weniger werden es bei Flor Shiguango sein. Kaffee ist die wichtigste Einnahmequelle für die Genoss_innen. Die bewirtschaften eigene Parzellen, organisieren den Vertrieb der Kaffeebohnen aber gemeinsam.

Gemeinsam etwas aufbauen

Flor Shiguango drückt indes den Besuchern hier eine Limone, da eine Guave oder Mandarine in die Hand. Vor der Heilpflanze Yucilia, die in der Nähe eines Kaffeestrauchs wächst, bleibt sie stehen und erklärt: "Wir nutzen die Pflanze als Antiseptikum bei Schlangenbissen." Zwischen 60 und 120 verschiedene Pflanzen gedeihen in einer typischen Chakra. "Die vielen unterschiedlichen Pflanzen, die bei uns auf einer Chakra wachsen, schützen sich auch gegenseitig", ergänzt Salazar. Die Vielfalt sorge dafür, dass der Schädlingsbefall gering bleibe: "Schädlinge finden nicht ausreichend Nahrung."

Robusta-Bohnen kamen erst zu Beginn dieses Jahrtausends in Ecuadors Amazonasregion an. Augusto Salazar gehörte zu den ersten, die die Sträucher anpflanzten. Der Erfolg gab ihm Recht und machte Schule. "Obwohl wir keine Erfahrung damit hatten, ist es uns schnell gelungen, Kaffee in guter Qualität zu produzieren", sagt Salazar, der die Besucher mittlerweile ins Zentrum der Genossenschaft geführt hat. Dort steht die Verarbeitungshalle, hinter der sich die Trockenzelte befinden. Die sind bereits gut bestückt, denn die Ernte ist angelaufen. Die ersten Zentner Kaffeekirschen wurden bereits geschält und haben die vom Fruchtfleisch ummantelten Bohnen freigegeben. Die Bohnen trocknen jetzt in der Sonne und werden regelmäßig gewendet.

Andreas Felsen schaut genau hin. Der Kaffeeröster, der für das Hamburger Kaffeekollektiv Quijote-Kaffee unterwegs ist, kam auf der Suche nach Robusta-Kaffee 2010 erstmals hierher. "Ein befreundeter Kaffeeröster aus Hamburg hatte mir gesteckt, dass in der Region die ersten Genossenschaften Robusta anbauen. Das war für uns sehr interessant. Zum einen, weil wir auf der Suche nach Robusta für unseren Espresso waren, zum anderen, weil wir nur mit Genossenschaften kooperieren, die gemeinsam etwas aufbauen wollen."

Ein indigener Mann mit Pilzkophaarschnitt trägt Hemd und Jacke, steht im Regenwald und lächelt.

Hat in kleinen europäischen Röstereien Verbündete gefunden: Augusto Salazar.

Seit 2013 zählt Waylla Kuri zu den Partnern von Quijote-Kaffee, und seither haben sich die Abnahmemengen kontinuierlich erhöht. Felsen schwört auf die langsame und gleichmäßige Trocknung der Bohnen. Das sorgt für mehr Aroma und somit Qualität und darauf legt sein Röstkollektiv Wert: "Für uns spielt es keine Rolle, ob unsere Lieferanten alle biozertifiziert sind, denn wir haben schließlich gesehen, wie nachhaltig hier gearbeitet wird. Das ist vorbildlich." Das sieht auch sein Wiener Kollege Michael Prem so. Er steht mit Felsen an der Röstmaschine, um gemeinsam mit den Aumata, wie die Kaffeetechniker_innen vor Ort heißen, herauszufinden, wie man das Beste aus den Bohnen herausholen kann. "Waylla Kuri ist für mich die nachhal­tigste Kaffeegenossenschaft, die ich kenne. Trotzdem muss ich ihre Bohnen als konventionelle Ware anbieten", ärgert sich der Inhaber von Prem-Frischkaffee.

Transparent, fair, Zeichen setzen

Das Problem ist, dass die Genoss_innen von Waylla Kuri kein Biosiegel vorweisen können, weil die Zertifizierung viel Geld kostet. So manche Kleinbäuerin und so mancher Kleinbauer können die finanziellen Mittel nicht aufbringen, und so ist es auch bei den Genoss_innen von Waylla Kuri. Deshalb prangt auf den 20 Kaffeesäcken zu 69 Kilogramm, die Michael Prem 2020 über das Quijote-Kaffeekollektiv importierte, eben kein Biosiegel. Das fehlende Zertifikat ist eine Hürde für den Kaffeeverkauf.

Konzentriert schauen die Aumata zu, wie Felsen und Prem den Röster bedienen, und tauschen sich mit den beiden Spezialisten aus. Die agieren auf Augenhöhe mit den Produzent_innen und zahlen pro Pfund der aromatischen Bohnen fast einen US-Dollar mehr als den Weltmarktpreis, der derzeit ohnehin hoch ist. Die Kaffeeröster aus Europa verlangen dafür aber auch eine hohe Qualität.

Eine ecuadoriansiche Kleinbäuerin trägt eine Schirmmütze, während sie mitten imRegenwald steht, über ihre linke Schulter gehängt trägt sie eine Tasche aus Stoff.

In ihrer "Chakra": Flor Shiguango.

In die Steigerung der Qualität wird gemeinsam investiert. "Wir finanzieren vor, indem wir 60 Prozent der Bestellmenge vor der Lieferung bezahlen, manchmal auch mehr", sagt Felsen. Auch Trockenzelte, in denen die Bohnen langsam und gleichmäßig auf den optimalen Feuchtigkeitsgehalt gebracht werden, hat Quijote-Kaffee schon finanziert. Gemeinsam besser werden ist das Motto des Kaffeekollektivs, das alle Kaufverträge online stellt und sich 2019 an der Transparenzinitiative "The Pledge" beteiligte. Ihr gehören 67 international renommierte Röstereien aus drei Kontinenten an, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Handel transparenter zu gestalten. Sie legen ihre Ankaufpreise, die Herkunft der Bohnen, die Kaffeequalität und die Abnahmemengen offen, was in der Branche normalerweise als Geschäftsgeheimnis gilt.

Die Initiative will zugleich ein Zeichen setzen gegen oft zu niedrige Kaffeepreise, die von vielen Importeuren mit Verweis auf den Börsenpreis diktiert werden, und fordert zum Mitmachen auf. Viele Kaffeeproduzent_innen fürchten den unkalkulierbaren Börsenpreis, der in den letzten Jahren teilweise wegen Spekulation, teilweise wegen Überproduktion immer mal wieder so tief sank, dass die Produktionskosten vielerorts davon nicht mehr gedeckt waren. Die Produktion bringt wenig Geld ein. Gewinne würden vor allem in den Ländern gemacht, die den Kaffee importieren und rösten, sagt Philipp Schallberger von den Schweizer Kaffeemacher:innen aus der Nähe von Basel, die ebenfalls Teil der Initiative sind.

Lebensstandard steigt

Beim Hamburger Kaffeekollektiv ist das anders: Zwischen 29 und 34 Prozent des Verkaufspreises gehen dorthin zurück, wo der Kaffee wächst. Das ist alles andere als branchenüblich. ­"Return to origin" nennen das die fairen Kaffeehändler_innen. Für die Mitglieder der Genossenschaft Waylla Kuri hat dies dazu geführt, dass ihr Lebensstandard in den vergangenen Jahren ­gestiegen ist. Aber auch eine bessere Ausbildung, ein wachsendes Selbstbewusstsein und das Eintreten für die eigenen Rechte gehören zu den Folgen. 40 Prozent der Genossenschaftsmitglieder sind Frauen.

Die Schweizer Kaffeemacher:innen unterstützen die Debatte über den Anteil der Produzent_innen an der Wertschöpfung, die mit "The Pledge" begonnen hat, und bezeichnen sie als überfällig. Der Anteil der Produzent_innen am Gewinn sei insgesamt zu niedrig, sagt Philipp Schallberger. Allerdings sei es mit fes­ten Preisen oder der Offenlegung von Handelsdaten allein nicht getan: "Die Produktions- und Transportkosten sind von Land zu Land verschieden. Daher ist es extrem schwierig, die Zahlen in den Kontext zu setzen", sagt der 35-Jährige, hat aber auch einen konstruktiven Vorschlag: "Ich frage die Partner in unseren Lieferländern manchmal, welchen Preis sie für ihre aromatischen Bohnen brauchen."

Die eigene Geschäftspraxis habe sich noch einmal verändert, seit die Kaffeemacher:innen Erfahrungen auf einer eigenen Farm in Nicaragua machen konnten. Wie wichtig frühzeitige Abnahmezusagen, eine Vorfinanzierung der Ernte und die Verbesserung der Infrastruktur sind, ist Schallberger jetzt viel klarer. Das wüssten auch die großen Importeure und Röstereien, sie verfolgten aber ein anderes Geschäftsmodell, sagt er.

Doch die auf Qualität, direkten Kontakt zu den Produzen­t_in­nen und faire Preise setzenden Kleinröstereien und die steigende Zahl ihrer Kund_innen aus Hamburg und Berlin, Wien, Basel und Zürich erzeugen Druck. Für die Genoss_innen von Waylla Kuri ist das ein Glücksfall. "Die Aufrechterhaltung unserer traditionellen Produktionsweise ist nur mit Partner_innen wie Quijote-Kaffee möglich. Sonst würden die Genoss_innen der Chakra den Rücken kehren", meint Augusto Salazar.

Knut Henkel arbeitet als freier Korrespondent in Lateinamerika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

HINTERGRUND

Lieferkettengesetze in Europa

Die 2012 verabschiedeten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte halten fest, dass Firmen Menschenrechte respektieren müssen. Sie setzen internationale Standards zur Beachtung von Menschenrechten bei wirtschaftlichen Tätigkeiten. Amnesty International fordert seit Jahren nationale und internationale Regelungen zur Unternehmensverantwortung. Dazu zählen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, die Firmen dazu anhalten, Menschenrechte als Teil ihrer Risikoanalyse in den Wertschöpfungsprozess einzubeziehen und Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Der Deutsche Bundestag hat im Juni 2021 ein "Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten" verabschiedet. Ab 2023 sind Firmen verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Auswirkungen ihres Handelns zu bewerten, Risiken in ihren Lieferketten entgegenzutreten und Wiedergutmachung für Menschenrechtsverletzungen zu leisten. Amnesty hat sich für das Gesetz ausgesprochen, fordert aber Nachbesserungen. Es soll nicht nur in Großfirmen Anwendung finden, Sorgfaltspflichten sollen entlang der kompletten Wertschöpfungskette gelten, und Verstöße müssen stärker geahndet werden.

Es ist ein Erfolg der Zivilgesellschaft, dass in Deutschland verbindliche Regelungen geschaffen wurden. In anderen Ländern gibt es ähnliche Gesetze oder Pläne, sie einzuführen, wie in Frankreich mit dem "Loi de Vigilance". Potenzial für stärkere Verpflichtungen bieten auch die anstehende Regelung zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten auf EU-Ebene und Verhandlungen über ein entsprechendes UN-Abkommen. Der Weg zu einer Durchsetzung der Menschenrechte in den Wertschöpfungsketten ist lang, aber das Lieferkettengesetz weist in die richtige Richtung.

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