Amnesty Journal 06. Oktober 2020

Abermals unter Druck

Ein schwarzer Mann mit kurzem Haar trägt ein Jacket und blickt in die Kamera.

Dokumentar der Grausamkeiten: Der kongolesische Gynäkologe Denis Mukwege gilt als weltweit führender Experte für die Behandlung von Verletzungen von Mädchen und Frauen, die durch Gruppenvergewaltigungen und gezielte physische Unterleibsschändungen verursacht wurden (Amsterdam, Juni 2016).    

Der kongolesische Arzt und Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege hat zwei Anschläge überlebt und viele Drohungen ertragen müssen. Nun will ihn ein Ideologe aus dem Nachbarstaat Ruanda einschüchtern.

Von Andrea Jeska

Denis Mukwege kennt die Angst, und die Angst kennt ihn. Seit vielen Jahren ist sie sein Begleiter, und immer hat er gesagt, sie werde nicht die Oberhand gewinnen.

Seit August aber erhalten der kongolesische Arzt und seine Familie wieder Morddrohungen. Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo hat zwar versprochen, das Leben des Friedensnobelpreisträgers zu schützen, doch bislang wurden kaum Maßnahmen ergriffen. Amnesty International hat den kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi und die UNO aufgefordert, sicherzustellen, dass Mukwege, seiner Familie und den Patientinnen seiner Klinik nichts geschieht. Mit Erfolg: Anfang Oktober übernahm die UN-Organisation Monusco Schutzaufgaben.

In der Vergangenheit gab es bereits zwei Anschläge auf Mukwege. Diesmal sorgt ein mächtiger Mann aus dem Nachbarstaat Ruanda für Angst: James Kabarebe, Sicherheitsberater des ruandischen Präsidenten Paul Kagame. In einer Fernsehsendung sagte er, revanchistische Gruppen würden Ruanda bedrohen und Leute wie Mukwege machten sich zum Werkzeug dieser Gruppen. Kabarebe bezog sich dabei auf die FDLR, eine militante Rebellengruppe aus Angehörigen der Hutu, die nach dem Ende des Genozids im Jahr 1994 in den Osten der Demokratischen Republik Kongo geflohen waren.

60.000 Patientinnen behandelt

Mukwege ist Begründer und Leiter der Panzi-Klinik in der Stadt Bukavu in Kongos Osten und einer der wenigen weltweiten Spezialisten für schwere Verletzungen, die Tausende von Frauen bei Vergewaltigungen mit Gewehrläufen, Bajonetten und Stöcken erlitten. Mukwege war und ist die einzige Hoffnung vieler Frauen, die Opfer dieser Kriegsverbrechen wurden. Rund 60.000 Patientinnen sind in seinem Krankenhaus in den vergangenen 20 Jahren operiert worden.

Für seine Arbeit wurde Mukwege vielfach ausgezeichnet: unter anderem mit dem Sacharow-Preis, dem Alternativen Nobelpreis und schließlich, zusammen mit der Jesidin Nadia Murat, 2018 mit dem Friedensnobelpreis. Schon 2012 hatte Mukwege in einer Rede vor den Vereinten Nationen gefordert, Kriegsverbrechen im Kongo zu verfolgen. Dies solle auf Basis des 550 Seiten starken UN-Mapping-Reports geschehen, ein im Jahr 2010 herausgegebener Bericht der Vereinten Nationen, der mehr als 600 Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Jahren 1993 bis 2003 auflistet.

Auch Kagames ehemalige Armee und heutige Regierung wird darin beschuldigt, genozidale Verbrechen verübt zu haben. Mukwege forderte ein Sondertribunal zur Aufklärung der Verbrechen und geißelte die westliche Welt wegen ihrer Gleichgültigkeit: "In den Kriegsgebieten finden die Schlachten auf den Körpern von Frauen statt. Ich bin Zeuge massenhafter Gräuel."

In den Kriegsgebieten finden die Schlachten auf den Körpern von Frauen statt. Ich bin Zeuge massenhafter Gräuel.

Denis
Mukwege
Kongolesischer Arzt und Friedensnobelpreisträger 2018

Nach erneuten Überfällen und Morden an Zivilistinnen und Zivilisten twitterte Mukwege im Juli 2020: "Solange Straflosigkeit vorherrscht und die Empfehlungen des UN-Mapping-Reports ignoriert werden, werden die Massaker an den Kongolesen weitergehen." Daraufhin beschuldigte Kabarebe den Arzt, eine Marionette von Terroristen zu sein. Die regierungstreue Presse Ruandas legte nach. So schrieb zum Beispiel die Zeitung The New Times, Mukwege habe eine politische Agenda, die tief verwurzelt sei in ethnischer Gewalt.

Beweise sammeln gegen die Täter

Dabei fordert der Arzt lediglich Gerechtigkeit für die Opfer. In seiner Heimatstadt Bukavu wurde im November 2019 ein Warlord unter anderem wegen Massenvergewaltigung zu lebenslanger Haft verurteilt. Möglich wurde die Verurteilung auch deshalb, weil die Panzi-Stiftung des Krankenhauses die Aussagen betroffener Frauen und anderer Zeugen dokumentierte. Gemeinsam mit Hilfsorganisationen sammelte sie Beweise gegen den Täter. Dieses Urteil nimmt den Frauen nichts von ihren schweren Verwundungen. Aber es gibt Hoffnung, dass die Zeit der Straflosigkeit vorüber ist, und es Menschen wie Mukwege braucht, um für Gerechtigkeit zu sorgen.

Andrea Jeska ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.

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