Amnesty Journal 26. März 2019

"Niger ist der Polizist Europas"

Ein Mann mit großem Ring am Finger verschränkt die Arme vor der Brust.

Ibrahim Manzo Diallo gehört dem nigrischen Journalistennetzwerk Alternative Espaces Citoyens (AEC) an und hat 2003 die Zeitung Air Info gegründet, die in Agadez erscheint. 

Ibrahim Manzo Diallo spricht im Interview über Aufstände im sogenannten Hafen des Friedens – und erzählt, wie seine Regierung den Menschen am Drehkreuz der Migration Angst macht. 

Interview: Markus Bickel

Im politischen Diskurs verschmilzt oft der Kampf gegen Terrorismus, Drogen- und Waffenhandel mit dem gegen Migranten, alles wird in einen Topf geworfen. Gibt es überhaupt einen ­Zusammenhang zwischen Terrorismus und Migration?

Es ist allein die Politik, die eine Verbindung zwischen Terrorismus und Migration zieht. Sie schafft damit einen Vorwand, um die Repression gegen Netzwerke zu rechtfertigen, die Menschen helfen, nach Norden Richtung Libyen aufzubrechen. So hat es Nigers Präsident Issoufou in einer Rede an die Nation im Dezember 2016 selbst formuliert. Damit ist es ihm gelungen, den Menschen Angst zu machen vor der Migration. Migranten werden als bewaffnete Kämpfer und Drogenhändler denunziert.

Auf Druck der Europäischen Union brachte Issoufous Regierung 2015 ein Gesetz ins Parlament ein, das den Transport von Menschen verbietet.

Bis zu dem Zeitpunkt lebten fast alle der 180.000 Einwohner von Agadez von der Migration. Sei es als Händler, als Chauffeure oder als Schmuggler. Selbst 2007, als es in Niger zu einem Aufstand kam, hielt die Regierung daran fest, dass der Transport von Menschen legal sei. Doch als 2015 weitaus mehr Migranten Europa erreichten als in den Vorjahren, bat Brüssel Niger darum, den Polizisten für Europa zu spielen. Und diese Rolle haben Regierung und Parlament mit Verabschiedung von Loi N° 2015-36 willig übernommen. Agadez bildet damit ­praktisch die neue EU-Außengrenze.

Im Gegenzug erhält Niger Hunderte Millionen Euro aus Europa, für Soziales, Sicherheit, gute Regierungsführung und eine bessere Stromversorgung. 

Präsident Issoufou hat von seinem türkischen Amtskollegen gelernt: So wie Erdoğan die Syrien-Krise 2015 wie ein Pokerspieler genutzt hat, um viel Geld zu verdienen, erklärte dieser Niger zur Zitadelle, um Europa vor Migranten zu schützen. Das hat funktioniert: Erst im Dezember 2018 stockte die EU ihre Hilfe um weitere 105 Millionen Euro auf.

Profitiert die Bevölkerung davon?

Kaum. Denn es sind in erster Linie junge Menschen, die von der Migration lebten und die heute arbeitslos sind. Viele von ­ihnen unterstützten den Aufstand gegen die Regierung 2007. Sie wissen, wie man Waffen benutzt, sie haben eine militärische Ausbildung durchlaufen.

Was wir zurzeit erleben, ist eine Migration der Unsicherheit: Weil es in Libyen keine staatlichen Strukturen gibt, aber Milizen im Überfluss, bringen viele Rückkehrer die Gewalt zurück nach Niger. Doch auch die Militärbasen der Franzosen und der Amerikaner machen uns Angst – sie schüren ein Klima der Gewalt, dass dazu führen könnte, dass die Bewohner von Agadez wieder zu den Waffen greifen.

Bislang galt Niger als Hafen des Friedens.

Das stimmt. Zugleich ist es jedoch in Agadez immer wieder zu Aufständen gekommen, weil der Norden des Landes nicht vom Reichtum des restlichen Landes profitiert. Das zu ändern, ist eines der Ziele unseres Netzwerks Alternative Espaces Citoyens, das nicht nur die schlechte Regierungspraxis in der Hauptstadt Niamey kritisiert, sondern den Nepotismus vieler Bürgermeister auf dem Land, die sich auf die Seite von Issoufou geschlagen haben, um ihren Teil vom Kuchen abzubekommen.

Die Zivilgesellschaft hat eine klare Agenda: Sie kritisiert Korruption ebenso wie die Militarisierung der Region durch den Bau neuer Militärbasen. Amerikaner und Franzosen sind schon länger hier, jetzt wollen auch Italiener und Deutsche dafür sorgen, dass die Migration Richtung Europa aufgehalten wird.

Weitere Artikel