Amnesty Journal 30. Mai 2022

Die Hoffnung auf Freiheit bleibt

Ein Mann in Jeans, Hemd und Jacket mit Baseballmütze sitzt auf einer Bank vor einer Grünfläche und lächelt.

Da war er gerade freigekommen: Eskinder Nega im Jahr 2018.

Viele Jahre hat der äthiopische Journalist Eskinder Nega schon in Haft verbringen müssen. Auch unter dem Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed musste er wieder ins Gefängnis.

Von Franziska Ulm-Düsterhöft

Eskinder Nega ist 52 Jahre alt. Er hat mehr als ein Fünftel seines Lebens im Gefängnis verbracht. Seit 1993 wurde er zehn Mal inhaftiert, mehrfach angeklagt und verurteilt. Er wurde geschlagen, erniedrigt und mit Tausenden anderen Menschen im Gefängnis Maekelawi in Addis Abeba zusammengepfercht. Der Journalist kritisierte in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder öffentlich die Regierungen Äthiopiens und trat für Meinungsfreiheit ein.

Im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen 2005 verschärfte die damalige Regierung unter Meles Zenawi die Medien- und Sicherheitsgesetze. Unzählige Journalist_innen, Oppositionelle und Menschenrechtsaktivist_innen wurden inhaftiert, Medien verloren ihre Zulassung und wurden geschlossen. Auch Eskinder Nega und seine Ehefrau, die Journalistin Serkalem Fasil, wurden inhaftiert, angeklagt und wegen Hochverrats verurteilt. Fasil, die schwanger war, wurde in einer Zelle voller Ratten und ­Kakerlaken angekettet und brachte ihren Sohn im Gefängnis zur Welt. Im Jahr 2007 kamen die beiden frei. Eskinder Nega berichtete Amnesty International anschließend, die Behörden hätten mit aller Macht versucht, ihn zu brechen.

Hoffnungsträger für Menschenrechtsarbeit

Im September 2011 wurde der Journalist erneut festgenommen, nachdem er regierungskritische Artikel geschrieben hatte, in denen er den Schutz der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit gefordert hatte, und später zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt.

Nach Jahren der Repression führten Proteste schließlich im Jahr 2018 zum Rücktritt der äthiopischen Regierung unter Hailemariam Desalegn und zur Amtsübergabe an Premierminister Abiy Ahmed. Dieser galt zunächst als Hoffnungsträger. Er ließ mehr als 7.000 politische Gefangene frei, darunter auch Eskinder Nega, schloss das verrufene Gefängnis Maekelawi und leitete Reformen ein. Gesetze, die bis dahin dazu gedient hatten, kritische Stimmen mundtot und  Menschenrechtsarbeit unmöglich zu machen, wurden überarbeitet.

Nach seinem ersten Amtsjahr waren alle inhaftierten Journalist_innen frei und verbotene Medien wieder zugelassen. Oppositionelle kehrten aus dem Exil zurück, und zivilgesellschaftliche Organisationen nahmen ihre Arbeit wieder auf. Für seine Aussöhnungspolitik mit dem Nachbarland Eritrea bekam Abiy Ahmed im Jahr 2019 den Friedensnobelpreis.

Eskinder Nega begrüßte den Amtsantritt von Abiy Ahmed zunächst ebenfalls und gründete wie viele andere eine eigene Partei, mit der er zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2020 antreten wollte.

Am 31. März 2020 kündigte der Nationale Wahlausschuss jedoch an, die für den Sommer angesetzten Wahlen wegen der Corona-Pandemie auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Das Parlament stimmte einer Verschiebung auf 2021 zu. Politische Mandate und Ämter wurden auf unbestimmte Zeit verlängert. In der Folge kam es zu Protesten in mehreren Landesteilen, auch in der Hauptstadt ­Addis Abeba und in der Region Oromia.

Dies war deshalb bemerkenswert, weil mit Abiy Ahmed erstmals ein Oromo und damit ein Vertreter der größten Bevölkerungsgruppe an der Spitze der Regierung stand. Unter den vorherigen Regierungschefs aus der Region Tigray waren Angehörige der Oromo häufig Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt gewesen.

Wie es zum Krieg kam

Im Juni 2020 kam der aus der Region Oromia stammende, populäre Sänger Hachalu Hundessa in Addis Abeba unter ungeklärten Umständen zu Tode. Im Anschluss fanden in seiner Heimatregion Demonstrationen statt, die von Sicherheitskräften gewaltsam niedergeschlagen wurden. Dabei wurden mindestens 177 Menschen getötet und mehr als 5.000 festgenommen. Unter den Inhaftierten befand sich abermals Eskinder Nega.

Die Verschiebung der Wahlen führte auch zu wachsenden Spannungen zwischen der Regierung und der Partei Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die bis zur Amtsübernahme Abiy Ahmeds fast drei Jahrzehnte lang die Regierung Äthiopiens dominiert hatte und sich nun entmachtet fühlte.

Unter Missachtung des nationalen ­Beschlusses hielt die TPLF-Regionalregierung in Tigray im September 2020 Wahlen ab, die von der Zentralregierung umgehend für rechtswidrig erklärt wurden. Nach dem Beschuss eines Militärlagers in Mekelle durch die TPLF begann die Zentralregierung am 4. November 2020 eine Militäroffensive gegen die TPLF in Tigray, die sich rasch auf die angrenzenden Regionen Amhara und Afar ausweitete und bis heute andauert.

Wir hoffen immer noch, dass das, wofür wir standen und wofür wir das Opfer auf uns genommen hatten, Wirklichkeit werden wird.

Eskinder
Nega

Sowohl die Regierungstruppen als auch die TPLF-Kämpfer_innen verübten in diesem Konflikt Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die Kriegsverbrechen und in einigen Fällen möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen. Infolge der Kampfhandlungen wurden Tausende Menschen vor allem aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit getötet. Es kam zu Zerstörungen, Plünderungen und massenhaften Vertreibungen. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden 2,4 Millionen Menschen in Folge des Konflikts innerhalb des Landes vertrieben. Mehr als 70.000 Personen flüchteten in den Sudan. Amnesty International dokumentierte Hunderte von außergerichtlichen Hinrichtungen sowie Vergewaltigungen, wahllose Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur, die Blockade humanitärer Hilfe sowie Festnahmen und Inhaftierungen aufgrund ethnischer Kriterien.

Weiterkämpfen für Demokratie und Freiheit

Im November 2021 verhängte die Regierung den Ausnahmezustand, der es ihr erlaubte, Medien zu zensieren, die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen einzuschränken und Menschen willkürlich festzunehmen. Die Behörden inhaftierten zahlreiche Menschen, nur weil sie aus Tigray kamen. Journalist_innen fanden sich im Gefängnis wieder, weil sie über den Konflikt berichtet hatten. UN-Personal wurde angegriffen und des Landes verwiesen. Sämtliche Kommunikationskanäle nach Tigray wurden gesperrt.

Weil die TPLF zurückgedrängt werden konnte, kündigte Abiy Ahmed Anfang 2022 einen Versöhnungsprozess an und ließ einige politische Gefangene frei. Auch Eskinder Nega konnte das Gefängnis am 7. Januar nach eineinhalb Jahren Haft verlassen. Mitte Februar 2022 wurde der Ausnahmezustand aufgehoben, doch befinden sich weiterhin zahlreiche Menschen allein wegen ihrer tigrayischen Herkunft in Haft. Die Kämpfe im Norden Äthiopiens gehen weiter, und Millionen Menschen sind noch immer von humanitärer Hilfe abgeschnitten.

Im Jahr 2018 hatte Eskinder Nega ­Amnesty nach seiner Freilassung gesagt: "Wir hoffen immer noch, dass das, wofür wir standen und wofür wir das Opfer auf uns genommen hatten, Wirklichkeit werden wird." Wie viele seiner Landsleute will er weiterkämpfen, bis Demokratie und Freiheit in Äthiopien erreicht sind.

Franziska Ulm-Düsterhöft ist Fachreferentin für Afrika bei Amnesty in Deutschland.

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