Amnesty Journal Ägypten 21. März 2018

Kuschelkurs mit Kairo

Zeichnung von Präsident Sisi und Kanzlerin Merkel, die sich die Hände schütteln

Die Bundesregierung setzt in ihrer Ägyptenpolitik auf Zusammenarbeit mit der Regierung Abdel Fattah al-Sisis – ungeachtet des anhaltenden Abbaus ­rechtsstaatlicher ­Verfahren und Zehntausender politischer Gefangener.

Von der Journal-Redaktion mit Zeichnungen von Oliver Grajewski

Deutsch-ägyptische Abkommen

Exportweltmeister

Rüstungsexporte in Höhe von 285 Millionen Euro genehmigte die Bundesregierung seit der Bundestagswahl im September 2017 an Ägypten, und damit mehr als an jedes andere Land. 428 Millionen Euro betrug der Wert insgesamt im vergangenen Jahr – so viel wie nie zuvor. Bereits zum zweiten Mal in Folge lag das Regime Abdel Fattah al-Sisis damit unter den Top Five der Empfänger deutscher Wehrtechnik weltweit – allen Menschenrechtsverletzungen durch dessen Sicherheitsapparat zum Trotz.

Millionenüberweisungen für ein von ThyssenKrupp Marine Systems hergestelltes U-Boot und 330 Luft-Luft-Raketen vom Typ Sidewinder des Munitionsmultis Diehl Defence machten den Löwenanteil der Exporte aus, die der von Bundeskanzlerin Angela Merkel geleitete, geheim tagende Bundessicherheitsrat 2017 genehmigte.

Ägyptens Luftwaffe ist serienmäßig ausgestattet mit dem in Überlingen am Bodensee produzierten Lenkflugkörper. Den Terror auf dem Sinai gestoppt hat sie trotz Ausweitung ihrer Luftschläge seit Sisis Machtübernahme 2013 allerdings nicht. Im Gegenteil. Ein Ende des Kriegs auf der politisch und sozial von Kairo vernachlässigten Halbinsel ist nicht in Sicht.

Dennoch setzt die Bundesregierung weiter auf einen Machthaber, der der Welt Stagnation als Stabilität verkauft – und bleierne Friedhofsruhe als Strategie gegen den Terror. Auch das von der EU nach dem Massaker an mehr als 800 Anhängern der Muslimbruderschaft im Juli 2013 verhängte Exportverbot hat Schwarz-Rot ignoriert. Das dürfte auch in Zukunft der Fall sein, obwohl Ägypten der Militärkoalition im Jemen angehört, deren Mitglieder laut Koalitionsvertrag künftig keine Waffen aus Deutschland mehr bekommen sollen. Allein seit Beginn der Luftschläge der von Saudi-Arabien geführten Allianz im März 2015 hat der Bundessicherheitsrat Rüstungsexporte in Höhe von knapp einer Milliarde Euro nach Ägypten erlaubt. Soziale Dimensionen von Sicherheit spielen in Berlin offenbar keine Rolle, solange die globale Antiterrormaschinerie deutschen Rüstungsriesen wie Rheinmetall und Diehl Defence laufende Umsätze garantiert.

Stiften gegangen

Als Präsident Sisi im Mai 2017 seine Unterschrift unter das umstrittene NGO-Gesetz setzte, zeigte sich die Bundesregierung besorgt. Sie kritisierte die massiven Einschnitte in die Rechte und Freiheiten zivilgesellschaftlicher Organisationen in Ägypten. Diese müssen sich seit Inkrafttreten des Gesetzes registrieren und ihre Aktivitäten staatlich genehmigen lassen.

Obwohl die Bundesregierung die Regelungen kritisierte, hatte sie nur zwei Monate zuvor ein Abkommen mit der ägyptischen Regierung geschlossen, das einer ähnlichen Logik folgt wie das NGO-Gesetz. Das im März 2017 vereinbarte Zusatzprotokoll zum deutsch-ägyptischen Kulturabkommen sollte nach Jahren des Konflikts eine neue Rechtsgrundlage für die Tätigkeit der deutschen politischen Stiftungen schaffen. Der Streit hatte Ende 2011 begonnen, als die Polizei das Büro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kairo durchsuchte. Im Juni 2013 waren daraufhin zwei KAS-Mitarbeiter in Abwesenheit zu hohen Haftstrafen verurteilt worden.

Bundeskanzlerin Merkel hatte bereits zuvor mit Präsident Mohammed Mursi ohne Erfolg über eine Neuordnung der Arbeit der politischen Stiftungen verhandelt; auch ihr Treffen mit dessen Nachfolger Sisi im Sommer 2015 in Berlin brachte kein Ergebnis. Stattdessen verschärfte die ägyptische Seite ihr Vorgehen gegen die politischen Stiftungen: Wegen der staatlichen Repressalien verlegte die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung ihr Nahostbüro 2016 von Kairo nach Jordanien; die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung hat seit 2015 keinen deutschen Repräsentanten mehr nach Kairo entsandt. Lediglich die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung ist noch mit einem Büroleiter in Ägypten vertreten, kann ihrer Arbeit aber auch nicht mehr frei nachgehen.

Das liegt unter anderem daran, dass das Zusatzprotokoll zum Kulturabkommen die Arbeit der Stiftungen auf kulturelle, erzieherische, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit beschränkt. Genehmigt werden müssen diese Aktivitäten von einem neu geschaffenen "Mechanismus", dem Vertreter der Stiftungen sowie des ägyptischen Außenministeriums und anderer Regierungsstellen angehören. Kooperation mit unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen schließt das de facto aus.

Repression statt Sicherheit

Fast ein Jahr dauerte es bis zur Ratifizierung durch den Bundestag, doch seit April 2017 ist es amtlich: Das deutsch-ägyptische Abkommen über die Zusammenarbeit beider Regierungen im Sicherheitsbereich stellt den gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus, Menschen-, Waffen- und Drogenhandel auf eine neue Stufe. Das für Berlin federführende Innenministerium wird die ägyptischen Behörden dabei in den Bereichen Grenzsicherung und irreguläre Migration unterstützen. Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Zollkriminalamt zählen zu den wichtigsten Stellen bei der Umsetzung des Abkommens.

Dass das auch die Zusammenarbeit mit den Nachfolgern der berüchtigten Geheimdienste der Ära Hosni Mubaraks – dem National Security Service (NSS) und dem Auslandsnachrichtendienst General Intelligence Service (GIS) – einschließt, zeigt, wie wenig Interesse die deutsche Seite an Konsequenzen aus dem Umbruch von 2011 hat. Und das, obwohl das Innenministerium in Berlin einräumt, dass der "umfassende Terrorismusbegriff" der ägyptischen Regierung "unverhältnismäßig" sei und "von den Sicherheitsbehörden als auch der Justiz immer wieder auch im Kontext von Demonstrationen gebraucht" werde.

Wie schmal der Grat zwischen Terrorbekämpfung und der Verfolgung Andersdenkender ist, zeigte sich im Oktober 2017, als nach einem Rockkonzert in Kairo viele Menschen festgenommen wurden, weil man sie "unzüchtigen Verhaltens" bezichtigte. Mehrere Homosexuelle wurden verurteilt, nachdem die Polizei sie gezielt über entsprechende Apps ausfindig gemacht hatte.

Zumindest aus diesem Vorfall zog das Bundeskriminalamt im Oktober 2017 die Konsequenzen: Ein Workshop für ägyptische Sicherheitskräfte zur "Beobachtung von Websites" wurde abgesagt, "weil einige der im Rahmen dieses Lehrgangs zu vermittelnden Kenntnisse und Fertigkeiten nicht nur zur Verfolgung von Terroristen, sondern möglicherweise auch zur Verfolgung von anderen Personenkreisen eingesetzt werden könnten", so die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine ­Anfrage der Linken. 

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