Aktuell Ecuador 07. August 2020

Indigene Frauen fordern besseren Schutz im Kampf ums Amazonasgebiet

Internationaler Tag der indigenen Bevölkerungen am 9. August
Eine Frau mit bemaltem Gesicht hält eine Schrifttafel

Die ecuadorianische Umweltaktivistin Patricia Gualinga von der Organisation Mujeres Amazónicas, 2020. Auf dem Schild steht: "Mehr als 200.000 Unterschriften für die Mujeres Amazónicas".

In Ecuador fordern indigene Frauen aus dem Amazonas stärkere Schutzmaßnahmen gegen Morddrohungen und Angriffe, denen sie aufgrund ihres Einsatzes für ihre angestammten Territorien ausgesetzt sind.

Seit Jahrzehnten protestiert die Organisation Mujeres Amazónicas ("amazonische Frauen") gegen die Ausbeutung ihrer Territorien durch die Öl-, Bergbau- und Holzindustrie. Unterstützt wird sie dabei von Amnesty International. Laut der Umweltschützerin Patricia Gualinga, einer Sprecherin der Amazonasfrauen, hat Amnesty über die Jahre hinweg dazu beigetragen, die Kampagne weltweit bekannt zu machen.

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"Die Zerstörung des Amazonas ist die Zerstörung der Welt", sagte Patricia Gualinga im März zu Amnesty International. "Wenn sie das nicht verstehen, dann sind wir verloren."

Erschließung der Gebiete der Kichwa Sarayaku

Zwischen 2002 und 2003 verschaffte sich der argentinische Ölkonzern CGC gegen den Willen der in Sarayaku lebenden indigenen Gemeinschaft der Kichwa Zugang zu deren Territorium. Das Unternehmen postierte militärische Sicherheitskräfte und private Wachleute, legte Straßen an und rodete Waldstücke. Dabei wurden Bäume und Pflanzen vernichtet, die eine wichtige Rolle im lokalen Ökosystem spielten und für die indigene Gemeinschaft von hohem kulturellen und ideellen Wert waren. Im Rahmen seiner Bohrarbeiten vergrub der Konzern zudem 1.400 Kilo Pentolit-Sprengkörper auf dem Sarayaku-Territorium. Dies stellt eine Bedrohung für das Leben der indigenen Gemeinschaft dar und zwang sie somit, einen Teil ihres angestammten Territoriums zu verlassen.

"Sie vergruben 50 Sprengkörper bei Nacht und Nebel – und sie wussten, dass das extrem gefährlich war", so Patricia Gualinga. "Ich hatte keine andere Wahl, als eine Menschenrechtsverteidigerin zu werden, da die Ölkonzerne die Rechte meines Dorfes und meiner Gemeinschaft mit Füßen traten."

Ein Dorf inmitten eines Waldgebiets und ein Fluss

Dorf der Kichwa-Gemeinde Sarayaku im Amazonas-Gebiet in Ecuador

 

Im Jahr 2012 unterstützte Amnesty International die Kichwa aus Sarayaku dabei, vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage gegen den ecuadorianischen Staat anzustrengen. Gegenstand der Klage war, dass CGC ohne die freie, vorherige und informierte Zustimmung der indigenen Gemeinschaft die Erlaubnis erteilt wurde, auf deren angestammtem Land nach Öl zu bohren und Sprengkörper zu deponieren, und dass die Regierung weder den entstandenen Schaden wiedergutmachte noch die Gemeinschaft vor künftigen Menschenrechtsverstößen schützte.

Und die Kichwa Sarayaku errangen einen historischen Sieg. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, dass der Staat Ecuador das Recht auf körperliche Unversehrtheit von Angehörigen der indigenen Gemeinschaft verletzt und ihr Recht auf Leben ernsthaft in Gefahr gebracht hatte.

Der Gerichtshof befand außerdem, dass die ecuadorianische Regierung gegen die Rechte der Kichwa Sarayaku auf Mitsprache, Gemeinschaftsbesitz und kulturelle Identität verstoßen hatte.

Nichtsdestotrotz sind die Behörden auch acht Jahre später dem Urteil immer noch nicht nachgekommen. Die Sprengkörper befinden sich nach wie vor in der Erde und Patricia Gualinga wird weiterhin angegriffen und mit dem Tode bedroht.

Ein Fluss in einer Waldlandschaft

Der Amazonas im Gebiet der indigenen Gruppe der Kichwa in Ecuador, 2020

 

Patricia Gualinga sagt: "Die Sprengkörper sind hier, und es ist ein Symbol für das, was anderen Gemeinschaften passieren kann, wenn wir nicht weiterkämpfen. Wir müssen weiter die Umsetzung dessen fordern, was das Gericht angeordnet hat. Denn wir wissen, dass internationale Konzerne weiterhin versuchen werden uns zu ignorieren, und das dürfen wir nicht zulassen."

Gemeinsam sind sie stark

Patricia Gualinga ist der Ansicht, dass eine gemeinsame weibliche Protestbewegung den indigenen Frauen erhöhten Schutz bietet. In Bezug auf einige Angreifer, die bis heute weder ausfindig gemacht noch vor Gericht gestellt wurden, sagt sie: "2018 haben sie damit gedroht, uns zu töten, und die Häuser einiger engagierter Frauen niedergebrannt. Diese Drohung war nicht an mein Dorf gerichtet, sondern direkt an mich.

Frauen sind einem höheren Risiko ausgesetzt als Männer. Frauen können mit sexueller und körperlicher Gewalt bedroht werden – bei Männern ist das etwas ganz anderes. Wir Frauen schließen uns zusammen, weil wir es müssen. Weil wir wissen, dass wir gemeinsam in so vieler Hinsicht stärker und besser geschützt sind.

Indem wir zusammenkommen, schützen wir uns. Genau deshalb existiert Mujeres Amazónicas: damit wir nicht alleine sind. Damit wir nicht so angreifbar sind."

Eine Menschenmenge auf einem Platz, in der Mitte wird ein gelbes Spruchband hoch gehalten, auf dem "Amnistia" steht.

Demonstration der Organisation Mujeres Amazonicas in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito im März 2020

 

Am 13. November 2019 zogen die Angehörigen der Sarayaku-Gemeinde vor das ecuadorianische Verfassungsgericht und forderten, dass die Behörden dem 2012 ergangenen Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte nachkommen. Und im März 2020 marschierten die Mujeres Amazónicas durch die Straßen der Hauptstadt Quito, um der Regierung eine Petition für bessere Schutzmaßnahmen vorzulegen.

Am 19. Juni 2020 nahm sich das Verfassungsgericht des Falls an, doch es könnte Jahre dauern, bis ein Urteil gefällt wird. Seit März 2020 hat die Sarayaku-Gemeinde zudem stark unter Überschwemmungen zu leiden, und auch Covid-19 breitet sich dort immer weiter aus – zusätzliche Herausforderungen für diese entlegene Gemeinschaft im Amazonasgebiet.

"Wir kämpfen nicht nur gegen die Bedrohung meines Lebens, meiner Heimat, meiner Gemeinschaft", erklärt Patricia Gualinga. "Wir kämpfen für eure Kinder, die ebenso wie wir ein Recht auf saubere Luft haben. Wir kämpfen um euren Sauerstoff, um die Zukunft eures Planeten. Wir kämpfen, damit es euch gut geht."

Frauen halten ein Transparent mit dem Schriftzug "Mujeres Amazinicas" in die Höhe.

Protest der Mujeres Amazónicas ("amazonische Frauen") in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito, März 2020

 

Amnesty International unterstützt die Mujeres Amazónicas seit vielen Jahren und fordert die ecuadorianischen Behörden auf, den wirksamen Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen wie Patricia Gualinga sicherzustellen, damit diese ihrer Menschenrechtsarbeit in einem sicheren Umfeld und ohne Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen nachgehen können.

Patricia Gualinga hält die Unterstützung durch Amnesty International für sehr wichtig, da dadurch die Gesichter der Frauen, die sich für die Natur und Menschenrechte einsetzen, an die Öffentlichkeit gelangt sind: "Wir haben andere Gemeinschaften inspiriert und marginalisierte Frauen in die Lage versetzt, ihre Stimme zu erheben. Wir haben Ölkonzerne aus dem Land gejagt.

Wir gehen damit ein hohes Risiko ein und es verlangt uns viel Zeit und Energie ab. Doch es lohnt sich. Denn der Planet existiert noch. Denn die Natur kämpft mit uns, Seite an Seite. Die Welt soll wissen, dass der Amazonas viele Reichtümer birgt: Er ist reich an Biodiversität, reich an Kultur, reich an reinem Leben."

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