Amnesty Journal Deutschland 01. April 2020

Wo eine Waffe ist, ist auch ein Weg

Weißer Pick-Up mit mexikanischen Soldaten in voller Kampfausrüstung und Waffen

Ausgestattet mit Waffen des deutschen Rüstungsunternehmens Sig Sauer: Mexikanische Marineinfanteristen in Mexiko City, Juli 2013.

Hat der deutsche Waffenhersteller Sig Sauer deutsche Exportbestimmungen verletzt, indem er Rüstungsgüter über eine Schwesterfirma in den USA nach Mexiko lieferte? Der Dokumentarfilm "Tödliche Exporte 2: Rüstungsmanager vor Gericht" des Regisseurs Daniel Harrich geht diesem Verdacht nach.

Von Wolf-Dieter Vogel

Die Marinesoldaten waren gut vorbereitet. Die Sturmgewehre im Anschlag, vermummt mit olivfarbenen Tüchern und in Kampfausrüstung stürmten die Männer den Schrottplatz "Yonke Pepe's". "Die Soldaten drohten, mich zu töten", erinnert sich Erika Castro an jenen 16. Mai 2018. 

Der Spuk in der mexikanischen Stadt Nuevo Laredo im Bundesstaat Tamaulipas dauerte mehrere Stunden. Als sich die Bewaffneten zurückzogen, nahmen sie Castros Lebenspartner José Luis Bautista Carrillo mit. Seither ist der damals 32-Jährige nicht mehr aufgetaucht. Er ist einer von über 61.000 Menschen, die laut offiziellen Angaben in Mexiko als verschwunden gelten.

Nuevo Laredo liegt an der Grenze zu den USA und zählt deshalb zu den besonders gefährlichen Städten. Wie in vielen Regionen Mexikos sind dort Soldaten, Beamte und Polizisten in illegale Geschäfte involviert. Häufig ist unklar, in wessen Interesse sie vorgehen. Außer Frage aber steht: Bei ihren Einsätzen verüben die Sicherheitskräfte oft schwere Menschenrechtsverletzungen. 

So auch in den ersten Monaten des Jahres 2018 in Nuevo Laredo. Mit der Begründung, gegen die Mafiaorganisation "Los Zetas" vorzugehen, griffen Marineeinheiten mehrmals Bürgerinnen und Bürger an. Mindestens 36 Menschen verschwanden, während sie sich in den Händen von Soldaten befanden. Fotos und Videoaufnahmen des Angriffs auf "Yonke Pepe's", die Amnesty International vorliegen, belegen: Die Soldaten trugen Sig516-Gewehre des deutschen Unternehmens Sig Sauer.

Das Bundesausfuhramt (BAFA) hat Sig Sauer zwar nach Angaben der Bundesregierung seit 2000 keine Exporte von Pistolen und anderen Waffen mit Endbestimmung Mexiko erteilt. Doch deren Schwesterfirma in Exeter im US-Bundesstaat New Hampshire ist in den vergangenen Jahren zu einem der größten Rüstungslieferanten des lateinamerikanischen Landes geworden. Denn im Gegensatz zur in Eckernförde ansässigen Firma darf Sig Sauer Inc. ihre gefährlichen Waren von den USA aus laut US-Gesetzen ohne Einschränkungen in das Nachbarland liefern.

Dokumenten des US-Außenministeriums zufolge wurde dem Unternehmen der Verkauf von Gewehren und Pistolen im Wert von 266 Millionen US-Dollar genehmigt. Die Genehmigung gelte bis 2024, erklärt AFSC-Aktivist und Rüstungsexperte John Lindsay-Poland und spricht von einer "beispiellosen Menge für die USA und Mexiko."

Aber wurden die Waffen ausschließlich in den USA produziert? Dieser Frage geht der vom SWR produzierte Dokumentarfilm "Tödliche Exporte 2: Rüstungsmanager vor Gericht" des Regisseurs Daniel Harrich nach, der heute im Rahmen eines ARD-Themenabends ausgestrahlt wird. Denn der Verdacht liegt nahe, dass die Rüstungsgüter zum Teil in Deutschland hergestellt und über die USA nach Mexiko geliefert wurden, um die deutschen Exportbestimmungen zu umgehen. 

Das wäre nicht das erste Mal: Auf diese Art und Weise hat das Unternehmen bereits Pistolen in das damalige Bürgerkriegsland Kolumbien exportiert. Im April vergangenen Jahres verurteilte das Kieler Landgericht drei Sig-Sauer-Manager zu Bewährungsstrafen, weil sie für die illegale Lieferung von Pistolen via New Hampshire in das südamerikanische Land verantwortlich gemacht wurden. 

Harrich und sein Team, das auch mit Amnesty International zusammenarbeitet, haben in Kolumbien und Mexiko Sig-Sauer-Pistolen aufgetan, die auf eine Herstellung in Deutschland hinweisen. So steht auf einer Waffe sowohl "Made in Exeter" als auch "Made in Germany", auf einer anderen verweist das so genannte Beschusszeichen auf das zuständige Amt in Kiel. "Wenn welche dahin gekommen sind, muss das ein anderer Weg gewesen sein, jedenfalls einer ohne Genehmigung", sagt der ehemalige BAFA-Präsident Arnold Wallraff.

Auch eine Genehmigung für den Technologietransfer nach Mexiko gab es für Sig Sauer in den letzten 20 Jahren nicht, erläutert die Bundesregierung. Zugleich aber erteilten deutsche Behörden der Firma in diesem Zeitraum 26 Genehmigungen für die Technologieausfuhr in die USA. Handelt es sich also um eine illegale Lizenzproduktion? Solche Fertigungen dürften nur in dem Land stattfinden, für das sie genehmigt worden sei, betont der ehemalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. "Der Export müsste dann wieder bei uns genehmigt werden."

Für Sig Sauer sind die Geschäfte der US-Schwester sehr lukrativ. Von New Hampshire aus liefert die Firma ihre todbringenden Produkte in zahlreiche Länder, in denen die Menschenrechte massiv verletzt werden, etwa nach Saudi-Arabien und die Philippinen. Einschränkungen hat die Rüstungsschmiede auch innerhalb Mexikos nicht zu befürchten. Das mexikanische Verteidigungsministerium bestätigt, dass ein großer Teil der importierten Schusswaffen in Bundesstaaten gegangen ist, in denen Polizisten und Soldaten besonders eng mit der Mafia zusammenarbeiten: Veracruz, Chihuahua, Sinaloa – und natürlich Tamaulipas.

Der vorliegende Text wurde leicht gekürzt. Die ausführliche Version des Artikels erscheint im Amnesty Journal 3/2020. 

Der Dokumentarfilm "Tödliche Exporte 2: Rüstungsmanager vor Gericht" wird am 1. April 2020 um 21.50 Uhr im Ersten ausgestrahlt.

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